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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein
Autoren: Jane Hill
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darauf bestehen. Hattie war aufregend, ungewöhnlich und glamourös, nicht bloß für Kate. Jeder schien das zu denken. In der Unterprima wurden begierig alle Informationen ausgetauscht, die die Mädchen über Hattie hatten, und Kate konnte nicht anders, als zu lauschen. Ihr Vater war irgendein Filmproduzent, ihre Mutter Schauspielerin. In den Sechzigerjahren war sie berühmt gewesen, hatte ihre Karriere dann aber für ihre Tochter, ein Einzelkind, an den Nagel gehängt. Hatties Vater hielt nichts von Privatschulen, weshalb Hattie auf eine berüchtigte Gesamtschule im Norden Londons gegangen war, wo sie es trotzdem schaffte, ihre mittlere Reife so gut abzuschließen, dass sie zur Oberstufe zugelassen wurde. Auf Drängen ihrer Mutter wechselte sie für die Oberstufe zur Lady Jane Grey. Die Mutter wollte, dass Hattie in Cambridge PPÖ studierte (Kate wusste nicht genau, was das war) und dort bei den »Footlights« einstieg, der Comedy-Truppe der Universität.
    Hatties Kleidung sorgte ständig für Gesprächsstoff: Secondhand-Kleider aus den Fünfzigern und Sechzigern, Strumpfhosen in Bonbonfarben, die nicht unbedingt Ton in Ton mit den restlichen Sachen waren; Schuhe und Stiefel, die häufig nicht zur Rocklänge passten; Ethno-Teile wie Saris oder chinesische Pantoffeln; klobiger, unechter Schmuck, der aussah, als stamme er vom Trödel. Kate fand, dass Hatties Kleidungsstil für die Lady Jane eine zu entschieden persönliche Note aufwies. Die meisten Schülerinnen schworen auf eine teure Variante der neuesten Mode; nur einige wenige blieben bei der klassischen Kombination von säuberlich gebügelten Jeans, Pullovern in Pastelltönen und Blusen mit Stehkragen. Die Einzige in der Oberstufe, die sich ganz und gar nicht wie ein Lady-Jane-Mädchen kleidete, war Kate, die jedoch mit ihren handgefärbten Schulblusen und artigen Röcken kaum in dieselbe Kategorie wie Hattie fiel.
    Kate - als stummer Beobachterin, der die Marotten ihrer Mitschülerinnen allzu vertraut waren - kam es merkwürdig vor, wie beliebt Hattie war. Unangepasstes Verhalten wurde an der Lady Jane Grey gewöhnlich nicht gut aufgenommen. Wer von der Norm abwich, erntete Spott oder Schlimmeres. Doch soweit Kate feststellen konnte, hatte Hattie - in jenem Jahr das einzige neue Mädchen in der Oberstufe - sich nahtlos eingefügt, als wäre sie schon ewig auf der Lady Jane. Schnell war sie eng mit Susan und Serena befreundet, den beiden Mädchen, die de facto den ganzen Jahrgang regierten. Kate fragte sich, ob es an dem besonderen Glanz lag, der ihre Familie zu umgeben schien. Waren die Mädchen in der Oberstufe womöglich cooler, offener für Leute, die nicht ins Raster passten? Oder lag es schlicht daran, dass Hattie ein wirklich netter Mensch war?
    Denn sie war nett. Das ließ sich nicht leugnen und erstaunte Kate. Hattie war sogar noch nett, wenn sie sich den anderen anschloss, Kate verspottete und sie triezte, was Kate wiederum längst zu ertragen gelernt hatte. Selbst dann gab es gelegentlich Momente, in denen Hattie freundlich und warmherzig, fast freundschaftlich auf Kate zuging. Beispielsweise grüßte sie Kate, wenn sie sich auf dem Flur trafen, lächelte ihr im Gemeinschaftsraum zu, wenn sich ihre Blicke begegneten, und eines Tages - unvorstellbar! - setzte sie sich in einer Mittagsstunde, die eigens für die Schülerinnen gegeben wurde, die sich für Oxbridge bewerben wollten, tatsächlich neben Kate. Zugegeben, das geschah nur einmal und das an einem Tag, an dem Serena zufällig krank war. Dennoch war es für Kate eines der glücklichsten Erlebnisse gewesen.
    In jener Unterrichtsstunde ging es um ein furchtbar vages Thema, irgendwas Künstlerisch-Philosophisches, und Hattie beteiligte sich mit Feuereifer an der Diskussion. Kate hatte sie beobachtet. Sie betrachtete den ungewöhnlichen goldenen Halsreif mit den großen, hässlichen grünen Steinen, der viel zu schwer für Hatties schmalen blassen Hals wirkte. Sie betrachtete die pfirsichfarbene Seidenstrickjacke, die Hattie unter ihrem engen dunkelroten Samtjackett mit Puffärmeln trug. Ihr fiel auf, wie die weiten Ärmel in lange Manschetten mit Dutzenden winziger stoffbezogener Knöpfe mündeten, die beinahe bis zu den Ellbogen reichten. Sie beobachtete Hatties kantiges Profil, das nicht direkt hübsch, eher irgendwie vogelähnlich war. Und sie sah, wie Hatties hennagefärbter Bob exakt so nach vorn fiel, dass die Haarspitzen die kleine Windpockennarbe rechts an ihrem Kinn berührten. All das
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