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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein
Autoren: Jane Hill
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erste Weihnachtsfeiern statt, sodass ein dichtes Gedränge herrschte. Kate hatte sich nicht sonderlich amüsiert, denn schon bald verlegte sich die Unterhaltung auf Babys und Beziehungen, beides Themen, über die sie nicht gern redete. Sie hatte keine Kinder und konnte nichts zu dem Thema beitragen, was die »Mädels« sehr wohl wussten. Was sie indes nicht ahnten, war, dass Kates Ehe gerade auseinanderging. Sie hatte bisher niemandem beim Sender erzählt, dass Neil und sie getrennt lebten, und hatte das auch nicht vor, jedenfalls im Moment noch nicht. Seit drei Wochen ging das schon so, aber noch handelte es sich um eine Trennung auf Probe, von der außer ihnen beiden niemand wissen sollte.
    Also hatte Kate sich bald verabschiedet und die Bar verlassen. Jetzt allerdings war sie genervt, fühlte sich einsam und ein bisschen traurig und hätte sich am liebsten dafür geohrfeigt, dass sie sich von dem Gerede herunterziehen ließ.
    Entsprechend verdrossen saß sie in dem vollen, überheizten Waggon, der rumpelnd durch den Londoner Untergrund fuhr. Sie war auf dem Weg zu dem vierstöckigen viktorianischen Haus in Tufnell Park, das Neil und sie vor fünf Jahren zu einem geradezu unanständigen Preis gekauft hatten. Das Haus war lachhaft riesig, viel größer als die Häuser, in denen sie beide aufgewachsen waren. Es hatte ein Heim für ihre Familie werden sollen, die sich jedoch nie ergeben hatte, weshalb sie beide sich bemühten, den Platz irgendwie auszufüllen, und sich einredeten, dass sie all die zusätzlichen Zimmer bräuchten - als Arbeitszimmer, Fitnessraum mit eigener Nasszelle und als Speisezimmer, das sie kaum benutzten. Und nun wohnte nur noch Kate dort. Nach sechzehn Jahren Ehe war es seltsam, aber durchaus irgendwie verlockend, das ganze Haus für sich zu haben. Während Kate auf ihrem Platz zur Seite rutschte, um dem ausladenden Hinterteil einer jungen Frau auszuweichen, die im Mittelgang stand, wünschte sie, sie könne sich einfach direkt nach Hause in die Badewanne beamen.
    Der Zug hielt an der Euston Station. Hier leerte sich der Waggon merklich, und Kate atmete erleichtert auf, als die Frau mit dem üppigen Hintern ausstieg, die neben ihr gestanden hatte. Sie bemerkte, dass die Betrunkene blieb, wo sie war, an die Trennwand gelehnt, als sei sie nicht mehr in der Lage, es noch zu einem der frei gewordenen Sitze zu schaffen. Kate lehnte sich zurück, nahm die Zeitung, die jemand auf einem der Nachbarsitze liegen gelassen hatte, und versuchte, sich darin zu vertiefen. Nicht mehr lange bis nach Hause. Sie konnte das warme Badewasser schon beinahe fühlen.
    Aber dann, kurz hinter Euston, gab es einen Ruck, der sie jäh aus ihren Gedanken riss. Es war einer dieser schrecklichen Momente, die jeder Fahrgast der U-Bahn fürchtet: Der Zug hielt plötzlich aus keinem erkennbaren Grund. Er blieb einfach vibrierend im Tunnel stehen. Aus den Lautsprechern drang ein knisterndes Geräusch, als wolle jemand eine Durchsage machen, doch gleich darauf wurde es wieder still. Die Beleuchtung im Wagen flackerte, ging aus und sofort wieder an. Der Zug rührte sich nicht. Eine Minute, zwei Minuten - zu lange. Kate wurde unruhig; sie versuchte sich wieder auf die Zeitung zu konzentrieren, doch es fiel ihr schwer. Sie tauschte einen vielsagenden, genervten Blick mit dem Fahrgast, der ihr gegenübersaß, einem Mann im Geschäftsanzug in mittleren Jahren. Derweil sagte sie sich, dass sie viel zu vernünftig sei, um wegen einer U-Bahn-Verspätung in Panik zu geraten. Bestimmt wartete der Zug bloß auf ein Signal. Aber wenn es nichts weiter ist als das, wieso sagen sie es uns dann nicht? Heutzutage gab es immer eine Durchsage, wenn der Zug länger irgendwo stehen blieb (und inzwischen stand er schon viel zu lange, weit länger als bei gewöhnlichen Aussetzern). Ruhig bleiben!, sagte sie sich. Keiner der anderen Fahrgäste wirkt beunruhigt. Es besteht kein Anlass zur Sorge, gar keiner.
    Und da begann das Jaulen. Es war beinahe komisch, dass genau in dem Moment, in dem Kate sich ermahnte, nicht in Panik zu verfallen, ein hohes Wimmern die angespannte Stille im Wagen durchschnitt. Kate bekam eine Gänsehaut. Wie alle anderen Fahrgäste auch sah sie sich nach der Lärmquelle um. Es war die Blonde, die betrunkene Blonde. Sie war wieder gestürzt, diesmal auf den Boden, wo sie auf den Knien herumkrabbelte, ihr Handy in einer Hand. Kate erkannte, dass sie aufs Display stierte und wild Tasten drückte. Offenbar wollte sie jemanden
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