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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein
Autoren: Jane Hill
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betrunkenen Hattie hatte hineinziehen lassen. Noch während Kate all das dachte, merkte sie, dass Hatties Finger ihre Schultern freigaben, und für einen winzigen Moment war sie erleichtert.
    Bis sie merkte, dass Hattie sich auf einmal von ihr wegbog. Was passierte, ließ sich schwer beschreiben. Hattie war plötzlich nicht mehr bei ihr, nicht mehr auf dem Bahnsteig. Sie kippte rückwärts ins Bodenlose. Ihr Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Und in dem Bruchteil einer Sekunde, der eine Ewigkeit anzudauern schien, musste Kate flüchtig an die Fallübungen aus dem Theaterkurs in der Schule denken. Dort hatten sie gelernt, sich so nach hinten fallen zu lassen, um zu beweisen, dass sie den anderen Schülerinnen vertrauten. Aber Hattie kippte immer weiter nach hinten, und da stand niemand, um sie aufzufangen. Unterdessen kam der Zug näher. Als Kate hinsah, bemerkte sie die weit aufgerissenen Augen des Zugführers. Gleich darauf kreischten die Bremsen schrill und ohrenbetäubend. Aus allen Richtungen kam Geschrei, bevor ein lauter, dumpfer Knall ertönte, als die Zugfront auf etwas Weiches prallte. Überall war Blut, und Hattie war nicht mehr da. Ein besonders lauter Schrei ertönte in Kates unmittelbarer Nähe, und sie fragte sich, wer dieses abscheuliche Geräusch machte. Erst da begriff sie, dass sie es selbst war, die da schrie. Sie schlug beide Hände vor den Mund, damit das Schreien aufhörte, und da bemerkte sie, dass ihre wunderschönen neuen Lederhandschuhe voller Blut waren.

ZWEI
     
    Noch vor vier Stunden hatte Kate sich darauf gefreut, in ein leeres Haus zu kommen. Nun aber, als das Taxi in ihre Straße einbog, hätte sie fast alles dafür gegeben, dass Neil da wäre. Sie wünschte sich, dass sämtliche Fenster hell erleuchtet wären, wie es Neils verschwenderischer Gewohnheit entsprach. Sie wollte hineingehen und ihn ausgestreckt auf dem Sofa vorfinden, wo er sich eine Sendung auf CNN ansah, vor ihm auf dem Fußboden ein Stapel von Aluschalen mit Curry vom Inder und ein paar leere Bierdosen. Sie wollte, dass er aufstand, sie in die Arme nahm und eine Hand auf ihren Hintern legte. Könnte er sie doch nur festhalten und ihr sagen, dass alles wieder gut würde!
    Sie hatte vorgehabt, ihn anzurufen. Eine Trennung auf Probe schloss gewiss nicht aus, dass eine Frau in einem solchen Moment ihren Mann anrief. Also sagte sie sich, sie werde ihn anrufen, sobald ihr Zittern nicht mehr so stark war und sie das Telefon halten und die richtigen Tasten drücken konnte. Doch zuerst hatte sie mit der Bahnpolizei reden müssen. Sie hatte sich bemüht zu beschreiben, was geschehen war, wie verängstigt Hattie in der U-Bahn gewirkt, wie sie sich benommen hatte. Aber die Polizisten hatten sie dauernd unterbrochen und Fragen gestellt, auf die Kate keine Antwort hatte. Vielleicht war das, was sie erzählt hatte, auch zu wirr gewesen. Das war durchaus möglich.
    Und dann war sie trotz ihres Protests in einem Krankenwagen zur Unfallklinik gefahren worden. In einem Krankenwagen! Als hätte sie durch die Ereignisse irgendwelche Verletzungen erlitten. »Schock« hatten sie es genannt, ein Wort, das jedoch nicht annähernd beschrieb, wie sie sich gefühlt hatte und noch immer fühlte. So hatte sie im Leben noch nicht gefroren. Ihr war durch und durch kalt, als könne ihr nie wieder warm werden. Sie hatte derart vor Kälte gebibbert, dass sie tatsächlich ihre Zähne klappern hörte. Unterdessen hatte sie um jeden Atemzug gerungen, als wäre sie kurz vorm Ersticken. Ja, sie hatte sich schrecklich gefühlt, bloß verstand sie nicht, was ein Trupp Sanitäter, das Personal einer Unfallstation oder ein Haufen Ärzte daran ändern könnten. Sie wollte einfach nur nach Hause und für immer schlafen.
    Jemand hatte ihr eine Decke umgelegt und sie auf einen Plastikstuhl in einen Krankenhausflur gesetzt, wo sie warten sollte. Irgendwann hatte sie dort noch mal mit der Polizei geredet, obwohl sie sich nur noch erinnerte, dass sie auf ein Paar dicke schwarze Schnürschuhe gestarrt hatte, während sie den Kopf zwischen die Knie geklemmt hatte und gegen die Übelkeit ankämpfte, die sie in Wellen überkam.
    Schließlich war ihr die Warterei zu blöd gewesen. Alle schienen vergessen zu haben, dass sie da war. Immer noch frierend, zitternd und in die Decke gehüllt, war sie den Gang hinunter bis zu einer Toilette gegangen, wo sie sich Wasser ins Gesicht spritzte. Im Spiegel hatte sie gesehen, dass ihre Lippen blau waren. Und dann war sie, weil sie
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