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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein
Autoren: Jane Hill
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tun musste. Obwohl sie erst vor wenigen Stunden ein langes Bad genommen hatte, ging sie nach unten in das neu eingebaute, moderne Duschbad. Dort drehte sie die Dusche so heiß auf, wie sie es eben noch aushielt, stellte sich unter den Strahl und wusch sich, wieder und wieder, schrubbte sich überall ab. Ihr war klar, dass sie längst sauber war. Und trotzdem musste sie sich immer weiter waschen. Dieser Drang machte ihr Angst. Das letzte Mal hatte sie ihn an dem schrecklichen Tag vor zwei Jahren verspürt: an dem Tag, an dem sie das dritte Baby verloren hatte.
     
    Hinterher zog Kate sich ihre Hausschuhe und den Morgenmantel an und ging in die Küche. Statt Kräutertee machte sie sich Kaffee, aufpeitschenden, dunklen, starken, anständigen Kaffee. Mit zitternder Hand zählte sie die Löffel dunkelbrauner, duftender Kaffeebohnen ab. Wenn Schlaf ihr bloß Albträume brachte, hielt sie sich lieber wach.
     
    Hattie Fox war tot. Die freizügige, glamouröse Hattie Fox. Die schwierige, problemgeplagte Hattie Fox. Kate erinnerte sich, wie sie Hattie zum ersten Mal gesehen hatte, wie strahlend, wunderschön und interessant sie gewesen war, wie sehr Kate sich gewünscht hatte, mit ihr befreundet zu sein. Und sie erinnerte sich an das letzte Mal, dass sie Hattie gesehen hatte, vor langer Zeit - das letzte Mal vor dem gestrigen Abend. Es war an jenem Abend gewesen, als Kate beschlossen hatte, ihre Freundschaft zu beenden. Sie erinnerte sich noch an das Gefühl, als sie Hattie schließlich den Rücken gekehrt hatte. Eine Mischung aus Erleichterung und Wehmut über den Verlust. Und nun war sich Kate unschlüssig, ob sie überhaupt trauern sollte. Im Augenblick war der Schock noch so gegenwärtig, dass sie gar nicht wusste, was sie empfinden sollte. Eigentlich war sie nur benommen. Vielleicht richtete das der Schock mit einem an. Aber tief in ihr regten sich noch andere Gefühle und drängten an die Oberfläche: Schuld, Verärgerung, Wut, Unglaube. Und Neugier. Abermals wurde sie in Hatties Drama hineingezogen. Wir haben etwas Furchtbares getan. Was hatte Hattie damit gemeint?
    Neil öffnete die Haustür mit dem Schlüssel, den er behalten hatte. Zum ersten Mal seit drei Wochen betrat er das Haus wieder. Die Luft roch etwas anders: frisch, klar, dünn. Er fand Kate schlafend in der Küche, den Kopf auf die verschränkten Arme gesenkt, eine fast volle Tasse kalten Kaffees vor sich auf dem Tisch. Ihr glattes braunes Haar war zu einem der merkwürdigen Halbpferdeschwänze hochgebunden, die sie sich gern machte: das Haar einmal verschlungen und mit einem stoffumhüllten Gummi fixiert. Neil hatte ihr gern dabei zugesehen, wie sie sich das Haar hochband. Dabei konnte er die blasse Innenseite ihrer durchtrainierten Oberarme sehen, die so zart und verletzlich schien. Kates Gesicht drückte sich halb in ihre Armbeuge. Als Neil sich einen Stuhl neben sie zog, konnte er nicht umhin, mit dem Finger über ihre zarten sommersprossigen Wangenknochen zu fahren. Das war ein Fehler, denn Kate schrak auf. Nein, »aufschrecken« traf es nicht richtig, denn ihr gesamter Körper zuckte so heftig, dass der Tisch sich ein Stück hob und klappernd wieder auf die Fliesen aufsetzte, wobei etwas kalter Kaffee auf den Untersetzer überschwappte. Neil griff nach ihrem Arm, um sie zu beruhigen, doch Kate starrte ihn mit einem solch vehementen Entsetzen an, dass ihm eiskalt wurde.
    »Schatz«, sagte er wieder und wieder, hielt sie in den Armen und strich ihr beruhigend das Haar aus dem Gesicht. Kate zitterte, weinte jedoch nicht. Und das machte Neil Sorgen, denn er glaubte, irgendwo gelesen zu haben, dass Menschen einen Schock nur überwanden, wenn sie sich zu weinen erlaubten. Zudem sprach Kate kaum und beantwortete seine Fragen lediglich mit einem erstickten Gemurmel. Neil wusste nicht recht weiter. Sollte er sie zum Reden drängen? Lieber alles rauslassen, als es in sich reinfressen, pflegte seine Mutter zu sagen, wenn ihn etwas bedrückte, und er hatte diesen Satz oft in seinem Beruf genutzt, wenn er Leute bewegen wollte, mit ihm zu reden und ihm ihre tragischen Geschichten zu erzählen. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte, außer Kate festzuhalten und sie nie wieder loszulassen. Genau das machte er, stand mit ihr in der Küche, eng umschlungen, als könne sie nichts mehr trennen. Da klingelte das Telefon.
    Neil spürte, wie Kate sich in seinen Armen verkrampfte. Dann griff sie, unfassbar für ihn, nach dem Telefon und ging nach dem dritten Klingeln
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