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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein
Autoren: Jane Hill
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wusste lediglich, dass Hattie sie manchmal gemocht hatte. Ab und zu war Hattie nett zu ihr gewesen. Weit häufiger aber nahm Hattie sie als selbstverständlich hin. Und Kate kam herbeigelaufen, wenn Hattie sie brauchte. Immer. Die Macht der Gewohnheit. Als wäre sie Hattie irgendetwas schuldig gewesen.
     
    Als Kate sie zum ersten Mal gesehen hatte, war Hattie allein gewesen. Und einen winzigen Moment lang hatte Kate wider alle Vernunft gehofft, sie könnten Freundinnen werden. Hattie hatte auf der Lehne eines alten Sessels im Gemeinschaftsraum der Oberstufe gehockt. Es war der erste Schultag nach den Sommerferien auf der Lady Jane Grey gewesen. Hattie hatte bestickte chinesische Pantoffeln getragen und die Füße auf das zerschlissene Sitzpolster gestützt. Mit beiden Händen hatte sie sich an einen Kaffeebecher geklammert, als hinge ihr Leben davon ab, dass ihr der Becher Wärme spendete. Als Kate in den Gemeinschaftsraum kam, in dem außer ihnen beiden niemand war, hatte Hattie aufgesehen und ihr freundlich zugelächelt.
    »Hallo«, begrüßte sie Kate. »Ich bin Harriet Fox, aber alle nennen mich Hattie. Ich bin neu hier. Ich habe mir einen Kaffee gemacht. Das war hoffentlich okay, oder?«
    Kate nickte und merkte, wie sie rot wurde. Hatties Selbstvertrauen verschlug ihr die Sprache. Ihre Stimme war klar und warm mit einer interessant klingenden rauchigen Note. Sie schaffte es, gleichzeitig arrogant - nein, nicht arrogant, sondern »vornehm«, wie Kates Mutter sagen würde - und eindeutig nach London zu klingen. Für Kate hörte Hattie sich wie eine Erwachsene an, wie jemand, der es gewöhnt war, Fremde selbstbewusst anzusprechen. Kate hatte den Mund geöffnet, um etwas zu sagen, irgendetwas. Aber dann war ihr Hatties rosa-silbernes Fünfzigerjahrekleid aufgefallen, und sie hatte den brüchigen Silbernagellack und den hennagefärbten Bob wahrgenommen, der Hatties schmales, blasses Gesicht rahmte. Es wäre zwecklos, hatte Kate gedacht, und in dem vertrauten Gefühl von Resignation ließ sie die Schultern hängen. Hattie war viel zu glamourös, zu schick, zu besonders, um sich mit Kate anzufreunden. Und während Kate ehrfürchtig schweigend dastand, ging die Tür hinter ihr auf und eine ganze Horde großer, selbstbewusster, arroganter Mädchen stürmte herein, die sich mit lauten, selbstbewussten, arroganten Stimmen über ihre aufregenden, exotischen Sommerferien unterhielten. Kate hatte gespürt, wie sie in sich zusammenschrumpfte. Noch ehe jemand sie bemerkte, hatte sie sich leise aus dem Gemeinschaftsraum geschlichen, die kurze Treppe hinunter in die ruhige, nach Möbelpolitur duftende Bibliothek. An ihren Zufluchtsort.
     
    Kate hatte kein weiteres Jahr auf der Lady Jane Grey bleiben wollen. Mit Engelszungen hatte sie auf ihre Mutter eingeredet, dass es besser wäre, wenn sie die Schule verließ und ihren Abschluss am örtlichen College machte, zusammen mit einigen ihrer alten Freundinnen aus der Grundschule.
    »Das ist wirklich viel erwachsener«, hatte sie gefleht, wenngleich sie keinerlei Hoffnung hegte, ihre Mutter umstimmen zu können. »Viel eher wie an der Uni, mit Vorlesungen und Seminaren statt Klassen. Da lerne ich, wie ich richtig studiere.«
    Aber ihre Mutter war nicht zu überzeugen. »Bist du verrückt geworden? Du hast ein Stipendium an einer der besten Schulen im ganzen Land und willst auf ein bescheuertes College? Ich dachte, du willst nach Oxford oder Cambridge. Ich dachte, du wolltest mal was Richtiges werden. Das wirst du bestimmt nicht, wenn du deinen Abschluss an einem Wald-und-Wiesen-College machst. Dazu musst du schon auf der bescheuerten Lady Jane Grey bleiben.«
    Die Art, wie ihre Mutter das Wort »bescheuert« benutzte, störte Kate auf eine Weise, die sie nicht einmal beschreiben konnte. Es kam ihr kleingeistig und provinziell vor. Wieso konnte sie nicht einmal richtig fluchen? Die Mädchen in der Schule fluchten andauernd, schmückten ihre selbstbewussten, arroganten Sätze zu gern mit »beschissen« oder »Scheiße« aus. Aber wahrscheinlich war es snobistisch von Kate, so über ihre Mutter zu denken. Sie fühlte sich hin- und hergerissen, gefangen zwischen zwei Welten, in die sie nicht hineinpasste. Und das war nur eines der kleinlichen Ärgernisse jenes Sommers. Kate hätte eine ganze Liste von Ärgernissen aufstellen können. Da war die viel zu verhaltene Begeisterung ihrer Mutter über Kates hervorragendes Zeugnis. Dann die anderen Mädchen in dem Laden, in dem Kate samstags
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