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Intruder 2

Intruder 2

Titel: Intruder 2
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dabei?«
    »Klar«, grinste Stefan. Er griff in die Tasche und zog eine Magnum-Tüte Haribo-Konfekt heraus. »Das sind wir unseren Frauen schuldig, oder?«
    Mike sah nicht einmal hoch. Sie hatten sich wochenlang mit der Vorstellung amüsiert, am Rande des Grand Canyon zu stehen und genüsslich eine Tüte Colorado zu mampfen, und selbstverständlich würden sie dieses geschichtsträchtige Ereignis im Bild festhalten, aber in diesem Augenblick kam ihm der Gedanke einfach nur kindisch vor. Mehr noch: Die Vorstellung bereitete ihm Unbehagen. Er hatte das seltsame Gefühl, mit dieser Lästerung etwas heraufzubeschwören, das besser nicht geweckt wurde.
    Aber natürlich konnte er den beiden diesen Spaß nicht verderben.
    Und sich selbst auch nicht, verdammt noch mal. Ganz egal, was passiert war! Sie waren hier, und es war sein Problem, mit der Sache fertig zu werden. Die beiden wussten ja nicht einmal, was gestern Abend geschehen war.
    Vielleicht zum ersten Mal bekam Mike eine schwache Ahnung von dem, was noch auf ihn zukommen mochte. Als er sich entschieden hatte, Stefan und Frank nichts von dem Unfall zu erzählen, hatte er möglicherweise eine Geschichte losgetre-ten, die ihm schon jetzt über den Kopf wuchs.
    »Ihr zuerst!« Stefan riss die Colorado-Tüte auf, zupfte sie so sorgsam auseinander, dass man den Schriftzug lesen konnte, und drückte sie Frank in die Hand. Dann zog er einen kleinen Fotoapparat aus der Tasche und bewegte sich einige Schritte rückwärts, um Frank, Mike und die Colorado-Tüte (und ja, gut, wenn es denn sein musste, auch ein Stück des Grand Canyon) gemeinsam aufs Bild zu bekommen.
    »Was ist los, Mike? Jetzt sei kein Spielverderber!«
    Mike riss sich mühsam von dem unglaublichen Anblick der Schlucht los. Es war nicht nur die Schönheit des Anblicks.
    Mike hatte das Gefühl, etwas zu zerstören. Die Magie des Augenblicks war dahin, ein für alle Mal. Widerwillig drehte er sich um.
    Um ein Haar hätte er die Tüte fallen gelassen, die Frank ihm hinhielt.
    Mike sah es nicht wirklich. Es war eines jener ... Dinge, die sich schattengleich in den Augenwinkeln bewegen und sofort verschwinden, sobald man versucht, sie mit Blicken zu fixieren
    - etwas, das nicht zu erkennen, aber gerade deshalb umso grässlicher war: ein blutiggrauer Schatten, der ihn höhnisch angrinste und ihm mit einer Hand zuwinkte, die haltlos an zerschmetterten Gelenkknochen und zerrissenen Sehnen hin-und herschlenkerte.
    Stefan ließ die Kamera erschrocken sinken, sodass sie beinahe zu Boden gefallen wäre. »Was ist los?«, fragte er.
    Mikes Herz hämmerte so schnell und unrhythmisch, dass er im ersten Moment gar nicht antworten konnte. Er begann am ganzen Leib zu zittern. Die Haribo-Tüte in seiner Hand ra-schelte hörbar. Er konnte kaum atmen.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Frank alarmiert.
    »Sicher«, antwortete Mike. Selbst dieses eine Wort auszusprechen, bereitete ihm unendliche Mühe.
    »Das sieht aber nicht danach aus«, stellte Stefan fest.
    Mike fuhr sich über die Augen. Hinter Stefan war nichts.
    Ein leicht ansteigender Hang mit dichtem Baumbewuchs und ungefähr eine Million Touristen. Keine Gespenster. Keine toten Indianerkinder.
    »Mein Knie«, sagte er gepresst. »Ich habe mich zu schnell umgedreht. Es tut verdammt weh.«
    »Wir können das auf später verschieben«, sagte Stefan. »Der Grand Canyon wird noch eine Weile hier sein.«
    Frank sagte nichts. Aber der Blick, mit dem er Mike maß, gefiel ihm nicht. Er war ziemlich besorgt - aber da spiegelte sich auch noch etwas anderes in seinen Augen.
    »Unsinn«, sagte er. »Jetzt mach dein Foto, bevor mir endgültig die Tränen kommen.«
    Stefan musterte ihn noch eine Sekunde lang durchdringend, zuckte dann aber mit den Achseln und hob die Kamera wieder.
    »Ganz wie du meinst. Du bist der Boss.« Er hielt den Sucher ans Auge. »Sagt: Cheeese!«
    Mike hielt die Haribo-Tüte in die Höhe und rang sich ein ge-quältes Lächeln ab, und Stefan drückte drei, vier Mal hintereinander auf den Auslöser.
    »Fertig«, sagte er. »Der nächste Herr, dieselbe Dame.«
    Frank nahm die Hand von der Tüte (nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass Mike in der Lage war, sie aus eigener Kraft zu halten), tauschte den Platz mit Stefan und machte ebenfalls ein halbes Dutzend Fotos. Er wirkte nicht besonders begeistert.
    »Jetzt du«, sagte er.
    Mike schüttelte den Kopf. Sein Herz jagte, und obwohl es hier oben am Rande der Schlucht überraschend kühl war, war er am ganzen Leib in
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