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Intruder 1

Intruder 1

Titel: Intruder 1
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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anderen, verletzten Schulter des Jungen, um ihn auf den Rücken zu drehen.
    Es war, als hätte er einen Sack voll nassen Mehls und loser Knochen umgedreht. Die Schultern des Jungen lösten sich aus der Vertiefung, die sein Körper in den Boden gerammt hatte.
    Sein Kopf, der nahezu abgerissen war, pendelte ein paar Mal hin und her, als wolle er seine Missbilligung darüber zum Ausdruck bringen, so roh aus seinem Bett gerissen zu werden.
    Die Suzuki musste ihn tatsächlich zur Gänze überrollt haben, und Mike stöhnte erneut und noch lauter, als er sah, was der Motorblock oder vielleicht auch die Kette seinem Gesicht angetan hatte.
    Der Junge war tot, daran gab es nicht den geringsten Zweifel.
    Mike zog die Hände wieder zurück, starrte in das zerstörte Gesicht des Jungen und wartete darauf, dass das Entsetzen zuschlug. Aber es kam nicht. Er spürte ... nichts.
    Wo gerade noch Schock, Unglauben und verzweifelte widersinnige Hoffnung gewesen waren, spürte er jetzt nur noch eine bodenlose, saugende Leere. Der Junge war tot! Es war real, keine Halluzination, die ihm ein Feind geschickt hatte, der vielleicht doch noch nicht so vollkommen besiegt gewesen war, wie er sich eingebildet hatte. Das hier war wirklich. Der Junge war tot, und er hatte ihn umgebracht, so einfach war das.
    Mike stand auf, drehte sich um und schloss für einen Moment die Augen. Die Leere in ihm blieb. Es war fast unheimlich still.
    Er wartete darauf, dass irgendetwas geschah, jemand kam, sich etwas regte.
    Es blieb still. Nach einigen weiteren Sekunden öffnete er die Augen wieder, drehte sich abermals um und sah wieder auf den Jungen hinab, der immer noch da war.
    Zum ersten Mal fragte er sich, wo der Junge hergekommen war, was er hier tat, ausgerechnet hier und noch dazu allein. Es konnte kein Zufall sein, das war einfach unmöglich. Nicht einmal ein total bescheuerter Indianer würde einen Fünfjährigen allein durch die Wüste marschieren lassen. Der Junge hatte eindeutig auf ihn gewartet. Natürlich hatte er nicht vorgehabt, sich überfahren zu lassen, sondern eher, ihm einen Riesenschrecken einzujagen. Vermutlich hatten sein Vater und er ihn und seine Freunde die ganze Zeit über beobachtet und sich insgeheim darauf gefreut, ihm dabei zuzusehen, wie er sich ablegte. Ja, hatten sie nicht diesen Weg hierher beschrieben? War das alles geplant gewesen?
    Es hatte wunderbar geklappt, dachte Mike kalt. Bis auf den kleinen Schönheitsfehler, dass der Junge jetzt tot war.
    Und auch er, Mike, würde es bald sein - wenigstens, was seine bisherige Existenz betraf. Mike hatte eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, wie diese Geschichte weitergehen würde. Was ihm bevorstand, war im allerbesten Fall eine wochenlange, hochnotpeinliche Untersuchung. Endlose Verhöre in einer Sprache, die er nicht beherrschte, der Ansturm von Reportern und Fernsehleuten, Besuche von seinem Anwalt und - vielleicht - eine Rückkehr in ein Leben, das sich in einen Scherbenhaufen verwandelt hatte. Aber diese Vorstellung war
    ... naiv. Realistischer war, dass sie ihn lynchen würden, entweder gleich oder später, vor Gericht und laufenden Fernsehkameras. Er konnte sich gut vorstellen, welches Bild sie von ihm zeichnen würden, dem reichen Touristen, der sich und seinen Freunden einen Trip in die USA spendierte und so ganz nebenbei ein unschuldiges und noch dazu offensichtlich behindertes Kind überfuhr. Wahrscheinlich würden sich sogar Zeugen finden, die aussagten, dass er schon am Tag zuvor Streit mit dem Vater des Jungen gehabt hatte. Falls er jemals wieder aus dem Gefängnis kam, war er wahrscheinlich fünfundsiebzig, seine Karriere vernichtet und er selbst ein körperliches und geistiges Wrack.
    Nein. Es war einfach nicht fair! Der Junge wurde nicht wieder lebendig, wenn man ihn, Mike, ins Gefängnis warf und sein Leben ruinierte. Er und sein Vater hatten ein böses Spiel getrieben und gar nicht begriffen, wie sehr sie den Einsatz erhöht hatten. Aber er, Mike, würde nicht dafür bezahlen!
    Mike drehte sich einmal um seine Achse und sah sich dabei aufmerksam um. Er war allein. Zweifellos war der Vater des Jungen irgendwo in der Nähe, aber wäre er hier gewesen, dann hätte er ihm vermutlich längst den Schädel eingeschlagen.
    Mikes Gedanken arbeiteten plötzlich so kalt und präzise wie ein Computer.
    Er hatte durchaus eine Chance, davonzukommen. Keine besonders große, aber sie war da. Und er hatte nichts zu verlieren. Es spielte keine Rolle, ob er sich freiwillig
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