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Intruder 1

Intruder 1

Titel: Intruder 1
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dabei in Gedanken noch einmal das Schlachtfeld abschritt, setzte die Furcht zu einem letzten, heimtückischen Angriff auf ihn an. Unsichtbare Dinge schlichen durch den Wald. Er hörte Geräusche, die nicht da waren, und sah hundert Gefahren, die in der Dunkelheit des Waldweges auf ihn lauern mochten; ein umgestürzter Baum, der auf dem Weg lag und den er zu spät entdeckte, um noch ausweichen zu können.
    Hervorstehende Äste, die sich wie Speere durch sein Helmvisier bohrten und ihn aufspießten, Dinge mit Zähnen und Krallen, die ihn aus den Schatten heraus ansprangen. Seine Fantasie war in diesem Punkt erstaunlich flexibel. Schließlich hatte er sie mehr als zwei Jahrzehnte lang sorgsam darauf trainiert, auch noch auf das abwegigste Was-wäre-wenn zu kommen.
    Mike lauschte in sich hinein. Sein Herz schlug ganz ruhig. Er hatte keine Angst. Nicht wenige der Gefahren, die in einer schier endlosen Aufzählung an seinem inneren Auge vorbeizogen, verlangten, ernst genommen zu werden, aber es waren reale Gefahren, die zum realen Leben gehörten. Nicht mehr die gestaltlose Angst vor der Angst, die ihn fast vierzig Jahre lang gequält hatte. Er hatte gewonnen.
    Mike lächelte. Er fühlte sich frei. Endlich frei!
    Fast behutsam fuhr er los. Der Motor der Intruder lief gleichmäßig und ruhig. Er hatte es nicht eilig. Stefan und Frank würden unten an der Straße auf ihn warten; es gab keinen Grund, irgendein Risiko einzugehen.
    Der Waldweg war so dunkel und schattig, wie er ihn in Erinnerung hatte, aber nicht annähernd so lang. Nach kaum einer Minute tauchte das Ende der asphaltierten Straße vor ihm auf, und damit die Hügelkuppe, hinter der die steinige Gefällestrecke begann. Mike schaltete herunter, ließ die Intruder ausrollen und näherte sich der Kuppe fast im Schritttempo. Dass er die Dämonen aus seiner Vergangenheit besiegt hatte bedeutete nicht, dass er auch automatisch zum Motocross-Profi mutiert war. Keine Angst zu haben war schließlich etwas ganz anderes, als alle Vorsicht über Bord zu werfen. Mike lenkte das Motorrad behutsam über die Kuppe -
    und von einer Sekunde auf die Nächste war alles anders.
    Im Halbdunkel vor ihm stand der Indianerjunge, und er war kein Gespenst mehr, kein Dämon mit glühenden Augen und Gliedern, die dem Licht keinen Widerstand boten, sondern real und körperlich.
    Außerdem stand er weniger als zwei Meter vor ihm und unmittelbar in der Fahrspur, sodass ein Ausweichen nicht mehr möglich war.
    Mike versuchte es trotzdem. Er trat hastig auf die Bremse, riss die Maschine herum und versuchte gleichzeitig die Kontrolle über die Intruder zu behalten und dem Jungen auszuweichen. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Unter dem blockierenden Hinterrad des Motorrades spritzten Sand und Steine hoch. Der Motor brüllte auf, als Mike brutal und ohne zu kuppeln den ersten Gang hineintrat, um die Wirkung der Bremsen noch zu verstärken, was vollkommen sinnlos war: Beide Räder der Maschine blockierten ohnehin schon, doch sie schlitterte trotzdem unaufhaltsam weiter. Mike spürte, wie sich der Schwerpunkt der Maschine immer weiter neigte.
    Ein Sturz war nicht mehr zu vermeiden - und er würde zu spät kommen.
    Das Schrecklichste aber war, dass der Junge einfach dastand und ihm lachend entgegensah. Er schien nicht etwa gelähmt vor Schrecken oder die Gefahr, in der er schwebte, nicht zu begreifen. Er stand einfach nur da und grinste Mike an. Ein glänzender Faden lief an seinem Kinn herab, und in seinen Augen loderte ein böses, durch und durch nicht dämonisches Feuer, die pure Schadenfreude über den gemeinen Streich, den er Mike gerade spielte. Er machte nicht einmal einen Versuch, dem heranschlitternden Motorrad auszuweichen.
    In der nächsten Sekunde hätte er es auch nicht mehr gekonnt.
    Das Vorderrad der Intruder traf ihn mit unbarmherziger Gewalt und schleuderte ihn zu Boden. Alles schien noch langsamer zu geschehen, als hätte eine perfide Macht die Zeit noch mehr verlangsamt, damit Mike auch nicht das geringste grässliche Detail entging: Die Maschine kippte, aber noch stürzte sie nicht, sondern rollte weiter, obwohl ihm der Anprall den Lenker aus der Hand geprellt hatte. Eine grausame Laune des Schicksals wollte es, dass der Junge nicht davongeschleudert wurde, was ihm vielleicht noch eine winzige Überlebenschance gegeben hätte, sondern mit weit ausgebreiteten Armen auf den Rücken fiel. Das Motorrad schlitterte weiter, walzte mit seinen mehr als vierhundert Pfund über den
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