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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy
Autoren: David Graeber
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vage utopische Zukunft, die erst nach dem Verdorren des Staats zu verwirklichen wäre, und ähnelte bis dahin buchstäblich dem »sozialistischen« System, wie es damals bestand. Nach 1989 dann wurde der »Kommunismus« zum Synonym für ökonomische Ineffizienz. Diese Regime »konnten einfach nicht funktionieren«. Und das ist ein wahrhaft bemerkenswerter Schluss etwa im Hinblick auf die UdSSR, die immerhin 70 Jahre lang große Teile der Erdoberfläche kontrollierte, Hit ler besiegte und den ersten Satelliten und dann die ersten Menschen ins All schoss. Es war gerade so, als nähme man den Kollaps der Sowjetunion als Beweis dafür, dass sie von vornherein nie hätte existieren können!
    Der ideologische Einsatz des Begriffs im populären Sprachgebrauch ist wirklich faszinierend, wird aber nirgendwo wirklich diskutiert. Ich erinnere mich noch bestens daran, als Teenager in Restaurantküchen und dergleichen gejobbt zu haben, wo Vorschläge seitens der Belegschaft zu einer vernünftigeren, ja sogar effizienteren Organisation auf zwei Stan dardreaktionen trafen. Entweder: »Wir sind hier nicht bei den Kommunisten.« Oder: »Wir sind hier keine Demokratie.« Was nichts anders heißt, als dass aus der Arbeitgeberwarte die beiden Begriffe austauschbar waren. Kommunismus bedeutete Demokratie am Arbeitsplatz und war aus ebendiesem Grund abzulehnen. Ich spreche hier von den 70er und 80er Jahren. Der Gedanke, dass der Kommunismus (oder die Demokratie) ineffizient, geschweige denn funktionsuntüchtig sei, kam hier noch gar nicht ins Spiel.
    Die Ironie dabei ist folgende: Wenn wir den »Kommunismus« realistischer definieren, dann stellen wir fest, dass sich die in den 80er Jahrenso viel gepriesene Situation heute ins Gegenteil verkehrt hat. Der Kapitalismus hat sich mittlerweile in tausenderlei Hinsicht zum Rückgriff auf den Kommunismus gezwungen gesehen, und zwar eben deshalb, weil Letzterer funktioniert.
    Ich habe dieses Argument wiederholt vorgebracht, und es ist nun wirklich nicht kompliziert. Wir müssen nur aufhören, uns »Kommunismus« als Absenz privater Eigentumsarrangements vorzustellen, und wieder auf seine ursprüngliche Definition zurückgehen: »Jeder nach seinen Fähig keiten , jedem nach seinen Bedürfnissen.« 6 Falls sich ein auf dieses Prinzip gegründetes gesellschaftliches Arrangement als »Kommunismus« bezeichnen lässt, führt das zu einem grundlegend neuen Verständnis gesellschaftlicher Realität. Bei Anwendung dieser Prinzipien wird rasch deutlich, dass Kommunismus – wenigstens in seiner undogmatischsten Form – ohnehin Fundament jeder einvernehmlichen sozialen Beziehung ist. Basiert nicht gesellschaftliches Zusammenleben jeglicher Art in gewissem Maße auf Kommunismus, einer Übereinkunft, so zu handeln, wenn nur die Notwendigkeit groß genug ist (es ertrinkt jemand) oder das Ansinnen klein genug (es fragt jemand nach dem Weg)? Im Hinblich auf Beziehungen, die wesentlich von Liebe und Vertrauen geprägt sind, sind wir ohnehin Kommunisten; dass man sich jedoch in allen Situationen mit jedermann »kommunistisch« verhalten sollte, ist fraglich.
    Aber nehmen wir mal die Arbeit – funktioniert sie nicht auch grundsätzlich auf kommunistischer Basis? Ich meine, in Situationen praktischer Zusammenarbeit und unmittelbarer Notwendigkeiten lässt sich ein Problem doch überhaupt nur dadurch lösen, dass man feststellt, wer einem geben kann, was man braucht. Wenn zwei Leute ein Rohr montieren, dann spielt es keine Rolle, ob sie für die Heritage Foundation arbeiten oder für Goldman Sachs. Wenn der eine sagt, »gib mal die Rohrzange«, dann wird ihm der andere nicht antworten, »was krieg ich dafür?«. Um es kurz zu machen, es hat keinen Sinn, sich das Ideal einer »kommunistischen« Zukunft auszumalen und darüber zu streiten, ob sie möglich ist oder nicht. Alle Gesellschaften sind im Grunde kommunistisch, und der Kapitalismus definiert sich am besten als schlechte Methode, den Kom munismus zu organisieren.

    Der Leser mag sich mittlerweile ein Bild von der allgemeinen Richtung gemacht haben, die mir vorschwebt. Wir praktizieren den Kommunismus ja bereits fast die ganze Zeit. Wir sind bereits Anarchisten, oder wenigstens verhalten wir uns wie solche, wann immer wir mit anderen zu einer Übereinkunft gelangen, deren Durchsetzung keiner physischen Drohung bedarf. Es geht also nicht darum, aus dem Nichts eine völlig neue Gesellschaft zu schaffen. Es geht darum, auf dem aufzubauen, was wir bereitshaben.
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