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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy
Autoren: David Graeber
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mal, so würden große Nationen entstehen. Entsprechend versuchten sie ihr Werk in die Tat umzusetzen. Nicht umsonst hat John Adams geschrieben: »eine Nation von Gesetzen, nicht von Menschen«. Das hat natürlich nicht geklappt, ebenso wenig, wie sich spätere Versuche, neue Nationen sowie politische oder ökonomische Systeme von oben her einzurichten, bewährt haben (denken wir etwa an die UdSSR).
    Was nicht heißen soll, dass an utopischen Visionen irgend etwas auszusetzen wäre. Noch nicht mal an einschlägigen Plänen. Es muss nur klar sein, dass sie eben das und nichts weiter sind. Beispielsweise hat Michael Albert einen detaillierten Plan ausgearbeitet, wie eine moderne Wirtschaft ohne Geld nach basisdemokratischen Prinzipien funktionieren könnte. Ich halte das für eine wichtige Errungenschaft – nicht weil ich der Ansicht bin, dass sich dieses Modell buchstabengetreu umsetzen ließe, sondern weil sich seither nicht mehr behaupten lässt, dass so etwas unvorstellbar sei. Trotzdem sind solche Modelle eben nur als Experimente zu sehen. Wir können uns einfach nicht vorstellen, welche Probleme auftauchen werden, wenn wir uns tatsächlich an den Aufbau einer freien Gesellschaft machen. Womöglich erweisen sich Probleme, die uns zunächst als unlösbar erscheinen, letztlich als belanglos; andere dagegen, an die wir nicht mal gedacht haben, als verteufelt schwer. Der unwägbaren Faktoren sind Legion. Der offensichtlichste von allen ist die Technologie. Deshalb ist es auch albern, sich vorzustellen, Aktivisten der italienischen Renaissance hätten auf Modelle für Börsen und Fabriken kommen können. Was wirklich passierte, basierte auf den verschiedensten neuen Techniken, die sie noch nicht einmal erahnen konnten und die zum Teil überhaupt erst auftauchten, weil sich die Gesellschaft in eine bestimmte Richtung zu entwickeln begann. Dadurch ließe sich zum Beispiel eventuell erklären, weshalb die überzeugenderen Visionen einer anarchistischen Gesellschaft von Science-Fiction-Autoren wie etwa Ursula K. LeGuin, Starhawk oder Kim Stanley Robinson stammen. Derlei Fiktionen gestehen wenigstens ein, dass die technologischen Aspekte reine Vermutungen sind. Tatsache ist, dass die Richtung der Forschung weitgehend von gesellschaftlichen Faktoren vorangetrieben wird. Und einer der besten Belegefür die Stagnation, ja den Verfall des zeitgenössischen Kapitalismus ist eben der Umstand, dass er seit den 70er Jahren seiner einst so überzeugenden Fähigkeit, aus Science Fiction Realitäten zu machen, verlustig gegangen ist.

    Was mich anbelangt, so interessiert mich weniger, welches Wirtschaftssystem wir in einer freien Gesellschaft haben sollten, als für eben die Mittel zu sorgen, die es dem Volk erlauben, derlei Entscheidungen selbst zu fällen. Deshalb habe ich in diesem Buch gerade dem demokratischen Entscheidungs
prozess
so viel Platz eingeräumt. Und gerade die Erfahrung, an solchen neuen Formen der Entscheidungsfindung selbst teilzu nehmen , lässt einen die Welt mit anderen Augen sehen.
    Wie also könnte denn nun eine Revolution des Common Sense tatsächlich aussehen? Ich weiß es nicht, aber mir fallen sofort etliche herkömmliche Weisheiten ein, die definitiv infrage gestellt werden müssten, wollten wir den Versuch einer praktikablen freien Gesellschaft angehen. Ein solches Projekt habe ich bereits an anderer Stelle, in meinem
Schulden -Buch
, vorgeschlagen: ein Jubel- oder Erlassjahr im biblischen Sinne, eine generelle Schuldenamnestie, teils nur, um klarzustellen, dass Geld eine menschliche Erfindung ist, ein Satz von Versprechungen, den man jederzeit neu aushandeln kann.
    Hier ein paar weitere vermeintliche Gewissheiten, mit denen wir uns nicht länger abfinden dürfen.
    Der produktivistische Deal
    Viele schädliche Annahmen, die unser Gespür für das politisch Machbare lahmlegen, haben mit dem Wesen der Arbeit zu tun.
    Die offensichtlichste ist die Annahme, dass Arbeit notwendigerweise gut ist, dass die, die sich nicht der Arbeitsdisziplin unterwerfen wollen, moralisch fragwürdige Gesellen sind und dass die Lösung für jede Wirtschaftskrise, ja für jedes wirtschaftliche Problem darin besteht, die Leute noch mehr arbeiten zu lassen als ohnehin schon. Bei Lichte betrachtet ist das absurd. Zunächst einmal handelt es sich hier um einen moralischen Standpunkt, nicht um einen ökonomischen. Es wird genügend Arbeit geleistet,
ohne
die wir wahrscheinlich besser dastünden, und Workaholics sind nicht
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