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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy
Autoren: David Graeber
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Wir brauchen nur die freiheitlichen Zonen auszuweiten, bis Freiheit zum höchsten Organisationsprinzip wird. Ich glaube wirklich nicht, dass die technischen Aspekte von Produktion und Verteilung von Waren und Gütern ein großes Problem darstellen wird, so sehr man uns glauben machen möchte, dass es das einzige sei.
    Auf dieser Welt ist vieles knapp, was wir jedoch in unbegrenztem Maß haben, das sind intelligente, kreative Menschen, die Probleme wie diese zu lösen imstande sind. Das Problem ist also nicht etwa ein Mangel an Fantasie. Das Problem sind erstickende Systeme von Schulden und Gewalt, die dazu geschaffen wurden, um uns am Einsatz dieser Vorstellungskraft zu hindern – oder die zumindest dafür sorgen sollen, dass wir damit nicht mehr erfinden als Finanzderivate, Waffensysteme oder Inter netplattformen zum Ausfüllen digitaler Formulare. Und das ist natürlich genau die Situation, die so viele an Orte wie den Zuccotti Park getrieben hat.
    Selbst was sich heute wie die eine oder andere ungeheure ideologische Kluft ausnehmen mag, wird sich in der Praxis mehr oder weniger von selbst erledigen. Ich war in den 90er Jahren viel in Internet-Newsgroups unterwegs, die seinerzeit voller Kreaturen waren, die sich als »Anarchokapitalisten« bezeichneten. (Es scheint diese Spezies fast überhaupt nur im Internet zu geben, jedenfalls habe ich im richtigen Leben bis heute noch keinen Vertreter gesehen.) Fast alle verbrachten einen Gutteil ihrer Zeit damit, linke Anarchisten als Befürworter von Gewalt zu verdammen. »Wie kann man für eine freie Gesellschaft und gleichzeitig gegen Lohnarbeit sein? Wenn ich jemanden einstellen will, mir meine Tomaten zu pflücken, wie will man mich davon abhalten, es sei denn mit Gewalt?« Dieser Logik nach wäre jeder Versuch, die Lohnarbeit abzuschaffen, nur mit einer neuen Art von KGB durchzusetzen.
    Solche Argumente hört man immer wieder, bezeichnenderweise aber nie jemanden sagen: »Was, wenn ich mich nun als Tomatenpflücker ver dingen möchte, wie will man mich davon abhalten außer mit Gewalt?« Jeder scheint sich in seiner Vorstellung von einer künftigen staatslosen Gesellschaft irgendwie als Unternehmer zu sehen. Keiner scheint auf den Gedanken zu kommen, dass
er
dort Tomaten pflücken würde. Aber wo ge nau sollen ihrer Vorstellung nach die Tomatenpflücker dann herkommen?
    Hier käme ein kleines Gedankenspiel ganz gelegen: Nennen wir es die Parabel von der geteilten Insel. Zwei Gruppen von Idealisten beanspruchen jeweils eine Hälfte einer Insel. Die Grenze ziehen sie so, dass jeder Gruppe in etwa dieselben Ressourcen zu Verfügung stehen. Eine Gruppe baut eine Gesellschaft auf, in der es Menschen mit Eigentum gibt und solche ohne; die Besitzlosen haben keinerlei soziale Garantien; sie werden verhungern, wenn sie sich nicht zu den Bedingungen der Reichenan diese verdingen. Die andere Gruppe sorgt für eine Gesellschaft, die jedem das zur Existenz Nötige garantiert. Es steht jedem Bewohner der Insel frei, in welcher Gesellschaft er leben will. Wieso sollte nun jemand, der in dem anarchokapitalistischen Utopia als Nachtwächter, Krankenschwester oder Bergmann arbeitet, dort bleiben wollen? Die Kapitalisten hätten binnen Wochen keine Arbeiter mehr und sähen sich gezwungen, ihre Anwesen selbst zu bewachen, ihre eigenen Bettpfannen auszuleeren und ihr Bauxit selber abzubauen – es sei denn, sie machen ihren Arbeitern ein Angebot, das dem der sozialistischen Utopie entspricht.
    Aus diesem und einer ganzen Reihe anderer Gründe bin ich mir ziemlich sicher, dass in der Praxis jeder Versuch, eine Marktwirtschaft ohne Militär, Polizei und Gefängnisse aufzubauen, in kürzester Zeit nichts mehr mit dem Kapitalismus gemein hätte. Im Gegenteil, ich vermute stark, dass er überhaupt nichts mehr mit dem gemein hätte, was wir jetzt unter Markt verstehen. Natürlich kann ich mich auch irren. Möglich, dass sich jemand daran versucht und zu ganz anderen Resultaten kommt. Dann habe ich mich eben geirrt. In der Hauptsache bin ich daran interessiert, die Bedingungen zu schaffen, unter denen sich so etwas herausfin den lässt.
    Was ich persönlich gerne hätte
    Ich kann nicht wirklich sagen, wie eine freie Gesellschaft aussehen würde. Aber da ich mich nun schon mal darüber geäußert habe, was uns fehlt, nämlich die Entfesselung politischen Verlangens, kann ich wohl auch damit zu einem Ende kommen, einige der Dinge zu nennen, die ich persönlich gerne verwirklicht sähe.
    Ich würde
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