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Insel meiner Traeume

Titel: Insel meiner Traeume
Autoren: Josie Litton
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murrte er.
    »Allzu weit kann’s nicht sein. Wir haben doch gehört, wie die Kutsche angehalten hat.«
    Angestrengt schaute Joanna in den Nebel. Nicht nur das Rauschen der Themse drang zu ihr - sie glaubte auch, gedämpfte Stimmen zu vernehmen. Seite an Seite mit Bolkum, eilte sie eine Gasse entlang, die zwischen Lagerhäusern zu den zahlreichen Docks von Southwark führte, dem zentralen Londoner Hafen. Das Tageslicht würde die stolzen Masten einiger Hundert Handelsschiffe enthüllen. Trotz ihrer friedlichen Funktion waren die meisten mit Kanonen bestückt. Nach wie vor kontrollierte die britische Marine die Meere. Aber Kaiser Napoleon machte ihr die Vorherrschaft streitig. In diesen turbulenten Zeiten würde es kein vernünftiger Kapitän wagen, seine heimischen Gewässer unbewaffnet zu verlassen.
    Eine Brise riss Löcher in den Nebel. Als Joanna durch eine der Lücken spähte, lösten sich seltsame Umrisse aus dem Halbdunkel, und ihr Atem stockte. Spielte ihr die Fantasie einen Streich? Oder sah sie tatsächlich...?
    Nun teilten sich andere Nebelschwaden. Zwischen gespenstischen grauen Schleiern, die um Lagerhallen und
    Docks umherschwebten, erschien der Bug eines gigantischen Schiffs, hoch über dem Wasser, wie der Hals eines Fabeltieres geschwungen. Im geisterhaften trüben Licht schimmerten die roten Augen eines gehörnten Stierkopfs. Ebenso wie der emporgereckte Schädel des mächtigen Tieres zeigte auch der Rumpf des Schiffs kunstvolle Schnitzereien. Leise klirrte die Takelage am Großmast. In das Geräusch mischten sich die Stimmen, die Joanna schon zuvor gehört hatte, und jetzt entdeckte sie mehrere Männer. Anscheinend hielten sie neben der Laufplanke Wache, und sie redeten miteinander - in einer Sprache, die sie nicht verstand, die aber beängstigend vertraut klang.
    Bolkum versteifte sich, ergriff ihren Arm und zog sie zurück. Da sie den Grund seiner Sorge kannte, ging sie widerstandslos mit ihm. Das Schiff glich keinem anderen im Hafen - und keinem, das der Menschheit in mehreren Tausend Jahren einen gewohnten Anblick geboten hatte.
    So sahen nur die Schiffe des legendären Königreichs Akora aus, jener streng befestigten, in Mythen und Mysterien gehüllten Insel jenseits der Herkulessäulen. Im Lauf der Jahrhunderte hatten die Bewohner kaum einem Fremden Zugang gewährt.
    Zu diesem Land war Joannas Bruder gesegelt - und möglicherweise gestorben, obwohl sich ihr Herz mit aller Kraft gegen diese schmerzliche Ahnung sträubte.
    »Akoraner!«, stieß Bolkum zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Genauso gut hätte er Joanna vor höchster Gefahr warnen können. Die unerbittlichen Krieger jenes Königreichs genossen einen furchterregenden Ruf. Gerüchten zufolge hatte ein französisches Expeditionskorps vor ein paar Jahren die akoranischen Gewässer erkundet und nie wieder von sich hören lassen. Ebenso hatten eifrige spa-nische, portugiesische und englische Forscher gehofft, ihre aristokratischen Namen würden ihnen Einlass in das geheimnisvolle Akora verschaffen. Auch sie waren spurlos verschwunden. Mochte das Reich auch seit uralter Zeit existieren - es besaß die modernsten Waffen, und seine Soldaten wussten sie offenbar zu benutzen, denn sie behaupteten sich gegen die mächtigsten Nationen der Gegenwart.
    »Stimmt es, was man von Lord Darcourt behauptet?«, erkundigte sich Bolkum, während er Joanna mit fester Hand zur Kutsche zurückführte.
    »Dass er ein halber Akoraner ist? Es scheint so...«
    Über Joannas Rücken rann ein Schauer. Einerseits empfand sie angstvolles Unbehagen, andererseits maßloses Staunen, weil sich jemand in London aufhielt, der das Mysterium jenes fernen Landes angeblich personifizierte. Seit sie denken konnte, war sie von Akora genauso fasziniert gewesen wie Royce - kein Wunder, da Hawkforte die einzige Sammlung akoranischer Kunstwerke beherbergte, die es außerhalb des sagenhaften Inselreichs gab. Um das Jahr 1100 herum, zum Zeitpunkt des ersten Kreuzzugs, waren Juwelen und andere Kostbarkeiten unter rätselhaften Umständen nach England gelangt. In der Hawkforte-Familienchronik fand sich ein Bericht über einen jüngeren Sohn, der einige Monate auf Akora verbracht und danach die Verbindung eine Zeit lang aufrechterhalten hatte. Ob dies den Tatsachen entsprach, wusste Joanna nicht.
    Eins stand jedenfalls fest. An langen regnerischen Nachmittagen hatte sie oft mit Royce in der Bibliothek gesessen und exquisiten Schmuck betrachtet - reich verzierte Anhänger, Ketten
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