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Insel des Sturms

Insel des Sturms

Titel: Insel des Sturms
Autoren: Roberts Nora
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merkte sie erst, als sie beinahe mit einem entgegenkommenden Fahrzeug frontal zusammenstieß. Oder, um genau zu sein, als der andere Wagen ihr in letzter Sekunde auswich und der Fahrer sie wütend anhupte.
    Aber zumindest fand sie die Abzweigung, die sie eigentlich auch beim ersten Mal gar nicht hätte verpassen dürfen, da die steinerne Spitze des großen runden Turms hoch oben auf dem Hügel unmöglich zu übersehen war. Wie ein Speer ragte sie in die Gräue hinauf und bewachte die alte Kathedrale von Saint Declan ebenso wie all die alten, mit schiefen, bemoosten Steinen markierten Grabstätten.
    Einen Augenblick lang meinte sie, auf dem Friedhof einen Mann zu sehen, in einem im Regen trüben, nass schimmernden, silbrigen Gewand. Sie blickte derart angestrengt zu der Stelle hinüber, dass sie beinahe von der kaum noch als Straße zu bezeichnenden Fahrspur in einen Graben fuhr. Dieses Mal machte sie ihrer Nervosität nicht durch lautes Singen Luft. Ihr Herz trommelte einfach zu heftig, als dass sie auch nur einen Ton über die Lippen gebracht hätte, und mit zitternden Händen lenkte sie den Wagen weiter. Immer noch versuchte sie, den Mann genauer zu erkennen, auszumachen, was er tat. Doch außer dem hohen Turm, der Ruine und den Gräbern konnte sie beim besten Willen nichts mehr sehen.
    Natürlich war ganz einfach niemand da gewesen, hielt sie
sich vor. Niemand besuchte während eines Unwetters einen alten Friedhof. Ihre Augen waren müde, sie spielten ihr allmählich Streiche. Sie musste nur rasch ins Trockene und Warme, wo sie wieder zur Besinnung kam.
    Als die Straße sich zu wenig mehr als einem schlammig nassen, zu beiden Seiten von mannshohen Hecken gesäumten Streifen verengte, glaubte sie, sie hätte sich hoffnungslos verfahren. Der Wagen holperte durch tiefe Schlaglöcher, und sie suchte verzweifelt nach einer Stelle, an der sie wenden konnte, um ins Dorf zurückzugelangen.
    Bestimmt gäbe es in Ardmore einen trockenen, warmen Ort, und sicher hätte irgendjemand Mitleid mit einer hirnlosen Amerikanerin, die sich in der Gegend nicht auskannte.
    Nun passierte sie eine hübsche, mit irgendeinem Rankengewächs bedeckte Steinmauer, die sie zu jedem anderen Zeitpunkt sicher pittoresk gefunden hätte, dann kam eine schmale Öffnung, bei der es sich anscheinend um etwas Ähnliches wie eine Zufahrt handelte – doch sie war bereits daran vorbei, als ihr dies klar wurde. In dem Schlamm rückwärts zu fahren und dann auch noch zu wenden, wagte sie entschieden nicht.
    Der Weg stieg immer weiter an, und aus den Schlaglöchern wurden echte Gräben. Ihre Nerven waren gespannt wie Drahtseile, und ihre Zähne klapperten so laut, dass sie es hörte; inzwischen umrundete sie eine weitere Vertiefung und zog ernsthaft in Erwägung, einfach darauf zu warten, dass jemand vorbeikäme, der sie den ganzen Weg zurück nach Dublin abschleppte.
    Als sie eine erneute Öffnung in der kleinen Mauer sah, stöhnte sie erleichtert auf. Vorsichtig bog sie ein, wobei sie nur minimal den Lack an ihrem Kotflügel zerkratzte, legte dann ermattet den Kopf auf das Lenkrad und schloss die Augen.
    Sie hatte sich verfahren, war hungrig, müde und musste
unbedingt aufs Klo. Jetzt stand es ihr bevor, im strömenden Regen auszusteigen und bei diesem fremden Haus hier anzuklopfen. Wenn der Besitzer ihr erklärte, dass das Faerie Hill Cottage weiter als drei Minuten entfernt wäre, müsste sie ihn darum bitten, sie seine Toilette benutzen zu lassen.
    Nun, die Iren waren für ihre Gastfreundschaft bekannt, und deshalb würde sie, egal von wem, ganz sicher nicht zum Pipi-Machen ins Gebüsch geschickt. Trotzdem wollte sie nicht hektisch und panisch wirken, wenn sie auf der Türschwelle erschien.
    Im Rückspiegel sah sie, dass der Blick aus ihren für gewöhnlich ruhigen grünen Augen tatsächlich ein wenig wild wirkte. Die Feuchtigkeit hatte ihre Haare gekräuselt, sodass sie aussah, als trüge sie einen rindenfarbenen Busch auf ihrem Kopf. Ihre Haut war kreidebleich – ein Resultat der Müdigkeit und Panik –, doch um nach ihrem Make-up zu kramen und zu versuchen, den größten Schaden zu beheben, hatte sie einfach nicht die Energie.
    Sie versuchte, ein nettes Lächeln aufzusetzen, das die Grübchen in ihren Wangen hervorlockte. Auf Grund der Breite ihres Mundes und der Größe ihrer Augen schien sie weniger zu grinsen, als eine Grimasse zu schneiden – doch besser ging es eben nicht.
    Entschlossen schnappte sie sich ihre Handtasche, öffnete die
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