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Insel des Sturms

Insel des Sturms

Titel: Insel des Sturms
Autoren: Roberts Nora
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Maude gemocht hatte; aber natürlich gäbe es, falls Jude das vorzöge, auch jede Menge Holz; das Telefon hätte man wieder angeschlossen, und das Feuer im Küchenherd müsse man von Hand schüren.
    »Oje, Sie schlafen ja im Stehen ein.« Mitfühlend drückte Brenna Jude einen dicken blauen Becher in die Hand. »Nehmen Sie den am besten mit nach oben, und legen sich ein wenig
hin. Ich mache Ihnen hier unten schon einmal das Feuer an.«
    »Tut mir Leid. Ich bekomme wirklich kaum noch etwas mit.«
    »Wenn Sie erst mal ein Nickerchen gemacht haben, geht es Ihnen wieder besser. Meine Nummer steht hier auf dem Zettel neben dem Telefon, falls Sie irgendetwas brauchen. Meine Familie lebt kaum einen Kilometer von hier entfernt – meine Mutter, mein Vater und vier Schwestern –, falls Sie also in Not sind, rufen Sie uns an oder kommen Sie einfach vorbei!«
    »Ja, ich – vier Schwestern!«
    Wieder lachte Brenna, als sie Jude zurück in den Flur geleitete. »Tja, mein Dad hat die Hoffnung auf einen Jungen einfach nicht aufgeben wollen, aber manchmal laufen die Dinge eben anders als man denkt. Er ist umgeben von lauter Frauen, selbst unser Hund ist eine Hündin. Und jetzt rauf mit Ihnen in die Falle!«
    »Vielen Dank. Wirklich, normalerweise bin ich nicht so … benommen.«
    »Schließlich fliegen Sie auch nicht jeden Tag über den Atlantik. Kann ich noch irgendetwas für Sie tun, bevor ich wieder fahre?«
    »Nein, ich …« Jude lehnte sich gegen das Geländer und blinzelte. »Oh, das hätte ich beinahe vergessen. Vorhin war eine Frau in diesem Haus. Wo ist sie so plötzlich hin?«
    »Eine Frau, sagen Sie? Wo?«
    »Hinter einem der Fenster.« Jude schwankte – beinahe wäre der Tee aus dem Becher geschwappt – und schüttelte den Kopf. »Als ich ankam, stand hinter einem der Fenster in der oberen Etage eine Frau und blickte heraus.«
    »Ach ja?«
    »Allerdings. Eine blonde, junge, wunderschöne Frau.«
    »Ah, das war sicher Lady Gwen.« Brenna betrat das
Wohnzimmer und hielt ein Streichholz an den im Kamin aufgeschichteten Torf. »Sie zeigt sich nicht jedem.«
    »Aber wohin ist sie gegangen?«
    »Oh, sie ist wohl immer noch im Haus.« Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der Torf brannte, erhob sich Brenna und klopfte sich die Knie ihrer Arbeitshose ab. »Ob Sie es glauben oder nicht, sie ist inzwischen dreihundert Jahre alt … Ihr Geist, Miss Murray!«
    »Mein was?«
    »Ihr Geist. Aber machen Sie sich darüber keine Gedanken. Sie wird Ihnen ganz sicher nichts zu Leide tun. Lady Gwen hat eine traurige Geschichte, aber die erzähle ich Ihnen besser ein anderes Mal, wenn Sie nicht so müde sind.«
    Jude konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Ihr Hirn wollte die Arbeit ebenso einstellen wie ihr Körper, aber es erschien ihr wichtig, dass es in diesem Punkt zumindest sofort Klarheit gab. »Versuchen Sie ernsthaft, mir einzureden, in diesem Haus lebe ein Geist?«
    »Und ob! Hat Ihre Oma Ihnen das denn nicht erzählt?«
    »Ich glaube nicht, dass sie etwas Derartiges erwähnte. Sie behaupten also, Sie glauben an Geister?«
    Abermals zog Brenna ihre linke Braue in die Höhe. »Nun, haben Sie sie gesehen oder nicht? Also bitte«, fügte sie, als Jude lediglich die Stirn runzelte, zufrieden hinzu. »Und jetzt machen Sie ein Nickerchen, und wenn Sie dann wieder aufstehen und Ihnen danach zumute ist, kommen Sie in Gallagher’s Pub – dort gebe ich Ihnen Ihr erstes echt irisches Guinness aus.«
    Zu verblüfft, um sich weiter auf das Gesagte konzentrieren zu können, schüttelte Jude müde den Kopf. »Ich trinke kein Bier.«
    »Tja, das ist aber bedauerlich«, erklärte Brenna gleichermaßen aufrichtig wie schockiert. »Dann guten Tag, Miss Murray!«

    »Jude«, murmelte Jude und starrte ihr Gegenüber immer noch verwundert an.
    »In Ordnung, Jude!« Brenna bedachte sie mit ihrem wunderbaren Lächeln und glitt durch die Haustür in den Regen.
    Hier sollte es einen Geist geben, dachte Jude, als sie mit schwirrendem Kopf die Treppe zu ihrem Schlafzimmer erklomm. Sicher war das nichts weiter als romantisches irisches Geschwätz. Ihre Großmutter hatte ihr, weiß der Himmel, in ihrer Kindheit zahllose Märchen erzählt, aber mehr war es auch nicht gewesen. Eine Unzahl von spannenden Geschichten, mit denen man sich abends vor dem prasselnden Torffeuer unterhielt.
    Aber sie hatte jemanden gesehen… oder etwa nicht?
    Nein, bestimmt war es bloß der Regen gewesen, die Vorhänge, das Spiel der Schatten im Inneren des
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