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Insel des Sturms

Insel des Sturms

Titel: Insel des Sturms
Autoren: Roberts Nora
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das Meer? Oder der Atem lebendigen Lebens? Noch während sie über sich selbst zu lachen begann, hörte sie ein anderes Geräusch, hell und leise, wie perlende Musik.
    Pfeifen, Glocken, Flöten mitten in der Nacht? Beinahe wäre sie die Treppe hinuntergeeilt und wie eine Schlafwandlerin der Magie der Klänge in die Dunkelheit gefolgt.
    Ein Windspiel, dachte sie mit einem Mal und lachte abermals auf. Natürlich ein Windspiel, ähnlich den netten Glöckchen vor dem Haus. Und sicher war sie immer noch nicht ganz wieder bei Sinnen, wenn sie daran dachte, um Mitternacht aus dem Haus zu laufen und auf der Suche nach einer leisen Melodie durch den Nebel zu irren.
    Entschieden trat sie einen Schritt zurück und schloss die Tür. Das Nächste, was an ihre Ohren drang, war das Zischen der überkochenden Suppe.
    »Verdammt!« Sie rannte zum Herd und zog den Topf beiseite. »Was ist bloß mit mir los? Himmel, selbst eine Zwölfjährige kann problemlos eine dämliche Dosensuppe auf dem Herd wärmen.«
    Sie wischte die Brühe auf, verbrannte sich dabei die Fingerspitzen und löffelte dann stehend den jämmerlichen Rest.
    Es war wirklich höchste Zeit, dass sie sich am Riemen riss und wieder handelte wie eine verantwortungsbewusste, vernunftbegabte Erwachsene. Sie war niemand, der sich um Mitternacht durch den Nebel träumte.
    Vollkommen gleichgültig löffelte sie die Suppe, aus reinem Hunger und ohne auch nur einen Funken des närrischen
Vergnügens, das man sich für gewöhnlich bei einem nächtlichen Imbiss gestattete.
    Endlich musste sie sich eingestehen, weshalb sie hierher gekommen war. Sie konnte doch nicht ewig so tun, als wäre sie im Urlaub, wolle ihre Wurzeln erforschen und gleichzeitig eine Dokumentation anfertigen, die ihre bisher nicht gerade astronomische Karriere endlich in Gang brächte.
    In Wirklichkeit hatte sie eine beinahe tödliche Angst, kurz vor einem völligen Zusammenbruch zu stehen. Denn inzwischen war sie permanent gestresst, litt regelmäßig unter Kopfschmerzen und bekäme sicher, wenn sie ihr Leben nicht schleunigst in den Griff kriegte, ein Magengeschwür.
    Sie hatte einen Punkt erreicht, an dem sie die tägliche Routine ihres Jobs einfach nicht mehr ertrug – einen Punkt, wo sie gerade begann, ihre Studenten und Studentinnen, ihre Familie und sich selbst sträflich zu vernachlässigen.
    Und schlimmer noch, gab sie, wenn auch widerwillig zu, empfand sie mittlerweile ihren Studenten und Studentinnen, ihrer Familie und sich selbst gegenüber sogar eine unverhohlene Abneigung.
    Was auch immer die Ursache für diese Niedergeschlagenheit war – noch vermochte sie der Sache nicht vollends auf den Grund zu gehen –, sie hatte die einzige Lösung in einer radikalen Veränderung gesehen. Einer Ruhepause. Einfach zusammenzubrechen – und dann eventuell noch vor den Augen Dritter – kam nicht in Frage!
    Diese Schande hätte sie sich selbst und ihrer Familie, die ja für eine solche Entwicklung nichts konnte, nie im Leben angetan. Also war sie davongelaufen – vielleicht auch ein feiger, zugleich jedoch seltsamerweise ein logischer Schritt, der ihr da in den Sinn gekommen war.
    Als die alte Maude im reifen Alter von einhundertundeinem Jahr gütigerweise das Zeitliche gesegnet hatte, hatte sich ihr damit überraschend eine Tür geöffnet.

    Und es war clever gewesen, diese Tür auch zu benützen. Eine wahrhaft vernünftige Maßnahme! Sie brauchte Zeit für sich, Ruhe, um sich darauf zu besinnen, wie es weitergehen sollte. Genau deshalb war sie hier.
    Natürlich würde sie auch arbeiten. Sie hätte die Reise und die Länge des geplanten Aufenthaltes niemals rechtfertigen können ohne irgendein Konzept. Also würde sie sich an einem Aufsatz versuchen, in dem sie die Erforschung der Wurzeln ihrer Familie mit ihrem Job verband. Wenn schon nichts anderes, so würde die Dokumentation lokaler Legenden und Mythen in Verbindung mit einer psychologischen Analyse ihrer Bedeutung und Ziele ihre Gedanken von den beständigen Grübeleien ablenken.
    Viel zu viel Zeit hatte sie bereits mit sinnlosen Selbstgesprächen zugebracht. Dies war ein Teil ihres irischen Erbes, hatte ihre Mutter ihr erklärt, und sofort stieß Jude einen abgrundtiefen Seufzer aus. Die Iren waren große Grübler – falls sie also hin und wieder das Bedürfnis verspürte, sich in Gedankenakrobatik zu ergehen, hatte sie sich ganz sicher den bestmöglichen Ort für ihren »Urlaub« ausgesucht.
    Jude drehte sich um, um den leeren Teller in die
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