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Insel der Freibeuter

Insel der Freibeuter

Titel: Insel der Freibeuter
Autoren: Alberto Vazquez-Figueroa
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saß und mit bereits tränenlosen Augen zusah, wie die Sonne am Horizont verschwand, ließ sich Hauptmann Sancho Mendana neben ihm nieder
    und legte nach langem Schweigen seine riesige
    schwielige Hand auf den braunen Schenkel des Jun-
    gen.
    »Ich hab in meinem Leben ja schon viel gesehen«,
    flüsterte er schließlich mit rauher Stimme. »Wirklich eine Menge! Monatelang war ich hinter Mombars,
    dem Todesengel, her, und habe seine unglaublichen Grausamkeiten mit eigenen Augen gesehen. Da hab
    ich nun geglaubt, mich könnte nichts mehr erschüttern.« Er schüttelte den Kopf, und ein aufmerksamer Beobachter hätte ein feuchtes Schimmern in seinen Augen bemerkt. »Aber so was hätte ich mir bei Gott nicht träumen lassen.«
    In seinem Kummer wußte der Junge nicht, was er
    erwidern sollte. Die Worte waren ihm ebenso ver-
    siegt wie die Tränen. Nach einigen Augenblicken
    fuhr Hauptmann Mendana deshalb fort, als hätte das Gesagte nichts mit ihm zu tun: »Mach das Boot deines Vaters flott und kümmere dich um Proviant,
    Wasser und Ersatzsegel. Die Leute im Dorf werden
    dich mit allem versorgen, was du brauchst, ohne
    Fragen zu stellen. Die Kosten übernehme ich.«
    »Warum tust du das?« wollte der Junge wissen.
    »Weil Samstag nacht ein Posten Wache steht, der
    bisweilen seltsame Anfälle bekommt«, entgegnete
    sein Gegenüber, als hätte er die Frage nicht richtig verstanden. »Kurz vor elf wird er herauskommen,
    um frische Luft zu schnappen, und wie vom Blitz
    getroffen neben der Seitentür umfallen.« Wieder
    blickte er dem Jungen fest in die Augen. »Hol deinen Vater raus und sag ihm, er soll nach Kuba, Puerto Rico oder Panama gehen. Wohin er will, nur nicht aufs Festland.« Seine Hand drückte den Schenkel
    des Jungen noch fester. »Und auf keinen Fall darf er nach Margarita zurückkehren. Das ist meine einzige Bedingung, denn sonst muß ich ihn verhaften.«
    »Aber warum machst du das alles?« beharrte der
    Junge auf seiner Frage.
    »Mein Gott, stell dich doch nicht dümmer als du
    bist«, erregte sich der andere. »Was glaubst du wohl, warum? Ich war bei deiner Geburt dabei, und dein
    Vater ist stets mein einziger Freund gewesen.
    Glaubst du vielleicht, ich lasse ihn im Kerker ver-modern, nur damit sich dieser Hurensohn ohne
    Furcht mit seiner Dirne amüsieren kann?« Dann
    schien im klar zu werden, was er da eben gesagt
    hatte, und er räumte ein: »Entschuldige bitte. Ist ja immer noch deine Mutter.«
    »Jetzt nicht mehr«, gab der Junge trocken zurück, um kurz darauf doch das zu fragen, worauf er niemals eine Antwort zu finden glaubte: »Warum hat
    sie das gemacht? Gut, mein Vater ist arm, doch er hat sie über alle Maßen geliebt, und wir sind doch glücklich gewesen.«
    Während die Sonne endgültig am Horizont ver-
    schwand, dachte Hauptmann Sancho Mendana dar-
    über nach. Er wußte, wie wichtig seine Antwort für diesen Jungen mit den großen fragenden Augen sein würde.
    »Die Not gibt meist schlechte Ratschläge«, mur-
    melte er schließlich. »Vielleicht hat deine Mutter ja mehr an die Zukunft ihrer Kinder als an ihren Ehemann gedacht, und vielleicht sorgt sie dafür, daß euch dieses Schwein eine angenehme Lebensstel-lung verschafft.«
    »Ohne mich«, gab der Junge entschieden zurück.
    »Überleg’s dir lieber noch mal.«
    »Da gibt’s nichts zu überlegen«, kam es wie aus
    der Pistole geschossen. »Ich geh mit meinem Vater.«
    In tiefer Zuneigung strich ihm Hauptmann Menda-
    na über die Wange und sah ihm direkt in die Augen.
    »Ich wußte, daß du das sagen würdest. Bei Män-
    nern irre ich mich selten, und du bist bereits ein Mann.« Er lächelte, als wollte er sich über sich
    selbst lustig machen. »Mit den Frauen ist das was anderes. Da treffe ich selten ins Schwarze.«
    In den folgenden Tagen kamen die meisten Ein-
    wohner von Juan Griego zum Haus der Heredias und
    brachten alles mit, was für eine lange Überfahrt nach Puerto Rico oder Hispaniola nötig war. Die meisten legten ihren Beitrag wortlos auf die Türschwelle, um den Schmerz des Empfängers durch das, was sie
    sagen würden, nicht noch zu vergrößern.
    Der Zimmermann und sein Gehilfe dichteten den
    Bootsrumpf mit Pech ab und richteten einen neuen
    Mast auf, während Meister Amador großzügig ein
    neues Segel opferte, das seine Töchter in monate-
    langer Arbeit gewebt hatten.
    Am Samstag abend gingen die Lichter des Dorfes
    früher aus als gewöhnlich. Nur im Turm der Festung La Galera, in der Kammer von Hauptmann
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