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Insel der Freibeuter

Insel der Freibeuter

Titel: Insel der Freibeuter
Autoren: Alberto Vazquez-Figueroa
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Sancho
    Mendana, flackerte noch eine einsame Kerze.
    Um viertel vor elf verlosch auch diese.
    Fünf Minuten später öffnete ein Wachposten die
    kleine Seitenpforte der Verliese, atmete tief die warme Nachtluft ein, sah zum schwarzen Himmel
    hinauf und brach wie vom Blitz getroffen zusam-
    men. Ein schwerer Schlüssel klirrte auf das Pflaster.
    Ein Schatten löste sich aus den anderen Schatten, ergriff den Schlüssel und verschwand in den mächtigen Kasematten. Wenig später tauchte er wieder auf, mit einem Schlafwandler an der Hand, der nicht zu wissen schien, wie ihm geschah und wohin man ihn
    führte.
    Sebastián mußte seinen Vater bis zur Anlegestelle schleifen, denn der arme Miguel Heredia hatte in
    seiner Verwirrung nur einen Wunsch: nämlich
    schnurstracks nach Hause zu Frau und Tochter zu
    marschieren.
    »Aber wohin bringst du mich denn?« flüsterte er
    ein ums andere Mal fassungslos. »Wohin bringst du mich?«
    Hundert Augenpaare verfolgten in ihren Häusern
    eingeschlossen den Weg der unglücklichen, von
    Schande und Schmerz geschlagenen Flüchtlinge.
    Und die meisten Kinder, die mit Sebastián gespielt hatten – und viele ihrer Mütter – konnten die Tränen nicht zurückhalten, als die beiden ins Boot stiegen.
    Drei Gestalten tauchten aus dem Dickicht auf, um
    das Boot aufs Meer hinaus zu schieben. Der Junge
    brachte seinen Vater auf dem Vorderdeck unter, hiß-
    te das Segel und steuerte das kleine Segelboot direkt aufs offene Meer hinaus.

    Die Jacare war ein wahrhaft hinterlistiges Schiff.
    Obwohl sie 40 Meter lang, sieben Meter breit und
    mit insgesamt 32 mächtigen Kanonen bestückt war,
    sah sie aus zwei Meilen Entfernung, besonders wenn man sie direkt voraus erspähte, wie ein harmloser Küstensegler aus.
    Keine Frage, daß man viel Mühe darauf verwendet
    hatte, diesen optischen Eindruck zu erzielen. Die tiefe Reling und der kaum über die Wasseroberflä-
    che ragende, blau gestrichene Rumpf sorgten dafür, daß die wahre Größe des Schiffs, besonders bei aufgewühlter See, fast unmöglich einzuschätzen war.
    Wahrscheinlich entscheidend war jedoch, daß die
    Jacare nicht mit der großen quadratischen Takelage spanischer Galeonen fuhr, sondern mit dreieckigen
    »lateinischen« Segeln. Außerdem segelte das Schiff gewöhnlich mit drei auf die Hälfte ihrer Länge ge-kappten Masten, so daß es keinem im Traum einge-
    fallen wäre, ein Schiff mit so sparsamer Takelage und so kurzen Masten könnte irgendeine Angriffsge-fahr darstellen.
    Wenn es darauf ankam, konnte die Besatzung der
    Jacare jedoch die obere Hälfte der Masten, die mit Metallklammern an den Stümpfen befestigt waren,
    in Windeseile auf die Vertiefung an der Spitze setzen und die Takelage des Schiffs wie durch Zauberhand verdoppeln.
    Dann stürzte sich das pfeilschnelle Schiff im
    Handumdrehen auf seine ahnungslose Beute und
    führte ihr gleichzeitig die Reichweite seiner eindrucksvollen Kanonen vor.
    Der Name Jacare, der in der Sprache der karibi-
    schen Ureinwohner »Kaiman« bedeutete, war somit
    mehr als gerechtfertigt, denn das seltsame Schiff, das eigentlich aussah wie ein maurischer Küstensegler, glich in Wahrheit einem verstohlenen Krokodil, das in einer Flußschleife zu dösen schien und nur die Augen und die Schnauzenspitze zeigte, doch ur-plötzlich einen Satz machen und mit seinem
    schrecklichen Rachen das nichtsahnende Opfer in
    den Tod reißen konnte.
    Der Kapitän, Waffenmeister und Eigentümer des
    Schiffs hörte auf den Namen Jacare Jack und war in vielerlei Hinsicht das getreue Abbild seiner Schöpfung. Mit seiner untersetzten Statur und seinem kahlen Schädel erinnerte er eher an einen gutbürgerlichen Notar, einen trägen Lehrer oder gar an einen gutem Essen zugetanen Mönch als an einen berüchtigten Piraten, der, wie es hieß, über zwanzig Galeonen versenkt hatte und dessen glänzenden Schädel
    alle Gouverneure der Karibik nur zu gerne an der
    Rah aufgeknüpft hätten.
    Wer ihn kannte, wußte oder hatte es gar am eigenen Leib verspürt, daß sich hinter der unschuldigen Fas-sade des friedlich wirkenden Mannes ein brutaler
    Seeräuber verbarg, der den Säbel nicht zog, ohne ihn blutbefleckt wieder in die Scheide zu stecken.
    Nicht umsonst hatte Jacare Jack an Raubzügen und
    Expeditionen des gerissenen Henry Morgan, des
    eleganten Chevalier de Grammont und sogar des
    geheimnisumwitterten und gehaßten Mombars teil-
    genommen, letzterer einer der sadistischsten und
    skrupellosesten Freibeuter, die je die
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