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Innenhafen

Innenhafen

Titel: Innenhafen
Autoren: Ursula Sternberg
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sich dicht zu mir herunter, bis er mit seinen Lippen fast mein Ohr berührte.
    Ich schüttelte mich unwillig.
    »Mord«, flüsterte er. »Ich bin ermordet worden.«
    »Das ist absurd, Kurti«, antwortete ich. »Kinder werden nicht ermordet. Und schon gar nicht eines wie du.«
    »Ihr habt mich doch nie richtig für voll genommen.« Seine Stimme war traurig. Doch plötzlich war er kein dünner Junge mehr mit zu vielen Sommersprossen auf der Nase, sondern ein grauhaariger Mann in meinem Alter. »Aber jetzt«, sagte er aggressiv, »jetzt werdet ihr es müssen!« Er schlug mir seine Faust in den Magen und ich schrak hoch.
    Clyde, der mir auf den Bauch gesprungen war, maunzte beleidigt.
    * * *
    Direkt am nächsten Morgen ging ich hinüber zum Polizeipräsidium. Von meinem mittlerweile nicht mehr ganz so neuen Wohnsitz in der Ladenspelder Straße in Holsterhausen aus waren es nur fünf Minuten zu Fuß durch die Pettenkofer Straße mit ihren schönen, alten Wohnhäusern bis zum Haumannplatz.
    Der von großen, alten Platanen beschirmte Parkplatz am Landgericht gegenüber dem Polizeipräsidium war vor ein paar Jahren einem klotzigen Parkhaus gewichen. Die Ecke war nicht gerade schöner geworden durch diese Maßnahme. Aber das fiel gar nicht weiter auf, wenn man nicht wusste, wie es vorher ausgesehen hatte. Wie viele andere Ruhrgebietsstädte war Essen im Zweiten Weltkrieg schwer bombardiert worden, und was in der Innenstadt an alter Bausubstanz noch erhalten geblieben war, war größtenteils dem sachlichen Realismus der sechziger und siebziger Jahre zum Opfer gefallen. Mit anderen Worten: Die Essener Innenstadt und die anliegenden Stadtteile bestachen nicht gerade durch ihre Schönheit.
    Ich überquerte die große Kreuzung und betrat das Polizeipräsidium, das sich in einem mächtigen spätpreußischen Bau befand, der wie die gegenüberliegenden Wohnhäuser dem Stadtsanierungsprogramm getrotzt hatte.
    Zögernd durchquerte ich die Eingangshalle. Ich wusste nicht so recht, wie ich mein Interesse an dem Fall überhaupt begründen sollte. Ich wusste ja noch nicht mal, warum mich die Sache so aufwühlte. Warum die Vergangenheit mich plötzlich so seltsam fest im Griff hatte. Aber ich wollte es nun mal wissen. Ich wollte wissen, ob es sich bei dem Toten wirklich um meinen ehemaligen Klassenkameraden handelte. Forscher, als mir zumute war, fragte ich beim Pförtner nach den im Todesfall auf der A 42 ermittelnden Beamten. So richtig überrascht war ich nicht, als ich deswegen an die Kriminalhauptkommissarin Beate Hellebrosch verwiesen wurde.
    Mit Bea verband mich eine im Laufe der Jahre kontinuierlich gewachsene Freundschaft. Zwar stand sie meinem Hang zu privaten Ermittlungen, die ich ein paarmal im Rahmen des von mir während meiner Arbeitslosigkeit gegründeten Vereins für Nachbarschaftshilfe Essen Süd betrieben hatte, nach wie vor skeptisch gegenüber. Dennoch musste selbst Bea zugeben, dass ich mit diesen Ermittlungen recht erfolgreich gewesen war.
    »Kurti war irgendwie die Lachnummer der Klasse«, erzählte ich ihr kurze Zeit später. »So einer, der sich immer freiwillig zum Affen macht. Eine Art permanenter Klassenclown. Hat manchmal ganz schön genervt, diese Masche. Trotzdem mochten wir ihn.«
    »Und was ist aus ihm geworden?«, fragte Bea.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich leise. »Wir haben uns aus den Augen verloren nach dem Abi. Das heißt, ich habe die ganze alte Clique aus den Augen verloren. Obwohl wir doch richtig dick miteinander befreundet waren. Irgendwie komisch, nicht?« Ich dachte daran, wie oft ich mich einfach nicht gerührt hatte, wenn Gerda oder Ines oder Kurti mir auf Band gesprochen hatten, dass sie sich mal wieder treffen würden. Ganz selten nur war ich hingegangen. Als ich im Rahmen einer Trennung eine neue Telefonnummer bekommen hatte, war der Kontakt schließlich ganz abgebrochen.
    Bea beobachtete mich forschend. »Du willst jetzt also wissen, ob er das ist«, stellte sie fest.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ja«, gab ich zu. »Der Name Kurt Olaf T. ist schließlich nicht ganz gewöhnlich, oder? Und in der Zeitung stand, dass das Unfallopfer aus Duisburg stammt. Das Alter kommt auch hin.«
    Bea seufzte. »Die Zeitung ist wie üblich gut informiert. Und der Mann hieß tatsächlich Türauf. So stand es zumindest im Ausweis. Auf welche Schule er gegangen ist, kann ich dir im Moment nicht sagen. Das schien nicht relevant. Ist es relevant?«
    »Glaube ich nicht. Für euch zumindest nicht.«
    Bea
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