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Innenhafen

Innenhafen

Titel: Innenhafen
Autoren: Ursula Sternberg
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verhangen wie ein Novemberhimmel. Er hielt sich im Hintergrund schräg hinter der Blonden, als wollte er sie beschützen. Wie sollte denn das bloß gehen ohne seine Cordjacke?
    »Hallo, Volker«, sagte ich verlegen. »Lange nicht gesehen.«
    »Toni.« Mehr nicht. Nur dieses »Toni«.
    Ich zuckte mit den Schultern. Hielt für einen kurzen Augenblick dem Blaugrau seines Novemberhimmelblickes stand und ging dann zügig weiter.
    Am schmiedeeisernen Tor holte mich Ines ein. »Kommst du nicht mit zum Essen?«, fragte sie.
    Leichenschmaus? Igitt! Ablehnend schüttelte ich den Kopf.
    »Schade«, sagte Ines. »Hier, meine Karte.« Sie drückte mir eine Visitenkarte in die Hand. Ines Trautwein, Accountmanagerin, stand darauf zu lesen.
    Sie schien auf etwas zu warten. Auf einen Kommentar? Accountmanagerin bist du also? Respekt! Hast es ja ganz schön weit gebracht. Oder darauf, dass ich im Gegenzug meine Karte zücken würde? Accountmanagerin? Ha! Hier. Nimm dies: Dr. Dr. Dipl.-Ing. von und zu … Touché! Karte gegen Karte, so läuft das doch heutzutage. Ohne Karte bist du nichts. Auf dieses blöde Spiel mochte ich mich aber nicht einlassen.
    »Hab keine«, sagte ich also und grinste spöttisch. »Bin einfach nicht so wichtig.«
    Ines lief rot an. »Du hast dich überhaupt nicht verändert«, sagte sie leise. Leise auch der Vorwurf in der Stimme. Und die Unsicherheit.
    War das wirklich so? Hatte ich mich nicht verändert? Ich will es nicht hoffen. Jung und dumm, das war ich damals.
    »Keine Ahnung«, sagte ich nur.
    Schweigen breitete sich zwischen uns aus. Eines der bedrückenden Art.
    »Melde dich doch mal.« Ines lächelte schüchtern. »Warum sind bloß so viele von uns hier?«
    »Keine Ahnung«, sagte ich nun schon zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit. »Ich weiß es nicht«, versuchte ich zu variieren und dachte: Und warum bist du hier? Doch ich fragte nicht. Schwieg stattdessen erneut.
    »Es ist ein so seltsam merkwürdiges Ende für Kurti …« Ines zupfte die Jacke über ihrer drallen Figur in Form. Sie schien zu frieren.
    »Ja«, antwortete ich schroff. »Das stimmt.« Und dachte, dass sie verdammt recht hatte. Damit ließ ich sie stehen.
    Wenn ich Raucher gewesen wäre, hätte ich mir jetzt eine Zigarette angezündet. Aber ich rauchte schon lange nicht mehr. Also setzte ich mich ins Auto, lehnte den Kopf an die Kopfstütze und versuchte, durchzuatmen.
    Die Szenen der Beerdigung saßen mir schwer in den Knochen. Ich dachte daran, dass da keine richtige Leiche in diesem Sarg gelegen hatte, jedenfalls keine mit erkennbaren Kurti-Zügen. Nur ein völlig verkohltes Etwas, kaum identifizierbar. Ich dachte an den Tod und malte mir aus, was Kurt gefühlt haben mochte in seinen letzten Minuten. Das konnte ich mir vorstellen und auch wieder nicht. Das nackte Grauen. Mir wurde übel. Ich öffnete das Fenster und saugte in gierigen Zügen die feuchte, kalte Luft ein. Dankbar spürte ich, wie die Übelkeit nachließ.
    Dann überlagerten novembergraue Augen die morbiden Gedanken. Eine Hand, die sich unter den Ellenbogen der kleinen Blonden schob, der zarten, zerbrechlichen.
    »Toni«, hörte ich ihn wieder sagen. Mehr nicht. Einfach nur dieses »Toni«.
    Arschloch, dachte ich wütend und drehte den Zündschlüssel.
    Anstatt auf die A 40 zu fahren und den direkten Weg nach Hause einzuschlagen, steuerte ich die A 3 an, wechselte am Breitscheider Kreuz auf die A 52 und fuhr zu den Feldern südlich des Mülheimer Flughafens. Zwei Stunden lang lief ich durch die Gegend und versuchte, die Bilder von schwarz verkohlten Leichenteilen, von Trauer und Tod loszuwerden. Und von novembergrauen Augen. Ich spürte Zorn in mir brodeln und wusste gar nicht mal genau, warum ich so zornig war und auf wen. Nur, dass die Wut auch mir selbst galt, das wusste ich sehr genau.
    Schließlich hatte ich mich abreagiert. Da ich schon mal in der Ecke war, beschloss ich, noch einen Blick in Schley’s Gartencenter zu werfen und mich mit der Gestaltung der Beete um meine Terrasse herum zu beschäftigen.
    Eine Zeit lang schlenderte ich durch die langen Reihen der Büsche, Bäumchen und Sträucher. Viel Grünes gab es nicht um diese Jahreszeit. Noch keine Sommerstauden. Noch nichts, was blüht. Aber die Auswahl reichte immerhin, mich auf angenehmere Gedanken zu bringen.
    Ich wählte einen Ranunkelstrauch, einen winterharten Riesenbambus, eine Kletterrose und eine Hanfpalme, ebenfalls winterhart, hievte schwere Säcke mit Gartenerde auf den Einkaufswagen
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