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Innenhafen

Innenhafen

Titel: Innenhafen
Autoren: Ursula Sternberg
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relativ schnell. Zögernd durchforstete ich die frischen, unverbrauchten Gesichter. Schließlich fand ich ihn in der dritten Reihe an zweiter Stelle von links. Schlaksig, sommersprossig und mit immens abstehenden Ohren. Kurti grinste unsicher in die Kamera. War er es gewesen, der bei diesem schweren Verkehrsunfall ums Leben gekommen war? Kein schöner Tod, dachte ich traurig.
    Die Sache ging mir auch den Rest des Tages nicht mehr richtig aus dem Kopf. Selbst der dicke Schmöker, ein Psychothriller, auf den ich mich gefreut hatte, konnte mich nicht ablenken. Als ich zum dritten Mal den Faden verlor und zurückblättern musste, klappte ich das Buch zu und legte Iron Butterfly auf, »In a Gadda da Vida«. Mit geschlossenen Augen lauschte ich der Musik.
    Szenen aus der Schulzeit drängten hoch. Die regelmäßigen Fahrten mit dem Fahrrad quer durch den Duisburger Stadtwald hin zum Entenfang, wo wir unerlaubt badeten. Oder zur Sechsseenplatte, die damals noch nicht zum Naherholungsgebiet umgestaltet, sondern vom Kiesabbau geprägt war, der der späteren Landschaft ihr Gesicht gab. »Betreten verboten. Eltern haften für ihre Kinder«, prangte an den meisten Ufern. Uns war das egal. Wir schnitten wie viele andere Jugendliche Löcher in die Zäune und gingen in die trübe Brühe rein, Matthes und Kurti mit lautstarkem Platschen, wie es Jungs nun mal so draufhaben, wir Mädels zögerlich. Mit kleinen Schritten blieben wir immer wieder fröstelnd stehen, bis die Jungs anfingen, uns mit Wasser zu bespritzen und wir uns schließlich mit lautem Quietschen fallen ließen. Ein Jahr später dann war auch Volker mit dabei gewesen.
    Komm, wir fahren mit der Straßenbahn bis nach Ruhrort … Ich hab aber kein Geld … Ist doch egal, fahren wir halt schwarz …   Oh Lord won’t you buy me a Mercedes Benz …
    Ich suchte nach der LP von Janis Joplin. »Pearl«. Die Schallplatte hatte ich wie all meine anderen alten Schätze auf den PC gerippt. Lange hatte ich diese Stücke nicht mehr gehört, »A Woman Left Lonely«, »Cry Baby« und Janis Joplins atemberaubende Interpretation von »Summertime«, die ich allerdings erst lange Zeit später entdeckt hatte, weil sie sich auf einem ganz anderen Album befand. Und mit der großartigen Musik schwappten immer mehr Erinnerungen hoch, trieben an die Oberfläche und setzten tief vergrabene Bilder in mir frei.
    Die langen Nachmittage mit Barbara. Wir übersetzten die Texte von »Jesus Christ Superstar«. Immer wieder sangen wir mit, bis wir die Texte schließlich auswendig konnten.  What’s the buzz, tell me what’s happening … wieder und wieder, wie eine Repeat-Schleife. Das war der Anfang gewesen. Der Anfang der Cliquenzeit.
    Kirmes. Autoskooter. Schlapphüte. Eislaufen, immer im Kreis zur Beschallung von Boney M. Mit langen, selbst gestrickten Schals und offenen Dufflecoats. Schwarz mussten die sein, die Dufflecoats, mit großer Kapuze. Schlaghosen. Und Boots, hellbraun.
    There is a house in New Orleans …  Frijid Pink war angesagt, bloß keine andere Interpretation. Wegen der psychedelischen E-Gitarren. Kritische Blicke in den Spiegel.  Bin ich schön? Nein. Nicht richtig. Das Gesicht zu rund. Die Augen zu schmal. Die Haare zu fludderig. Zu dick … zu dünn … zu breit die Nase … die Füße zu klein … und Barbara viel, viel schöner …  Lächerlich, womit ich mich damals so befasst hatte. An mir war alles in Ordnung gewesen. Die alten Fotos zeigten es deutlich.
    Gemeinsame Kinobesuche, endlose Telefonate.  Und da hat er gesagt … und dann habe ich gesagt … und da hat er mir den Arm um die Schulter gelegt …  Heute hasse ich telefonieren. Beschränke die Anrufe auf das Notwendigste. SMS sind mir lieber. Oder E-Mails.
    »Lady in Black« von Uriah Heep, »Black Magic Woman« und »Samba pa Ti« von Santana. »Nights in White Satin« von The Moody Blues und »When a Man Loves a Woman« in der Interpretation von Eric Burdon. Der erste Blues, den wir tanzten.  Mensch Kurti, nicht so grapschen, das will ich nicht.  Ich spürte die Erektion der Jungs. Sie klammerten. Unangenehm die meisten. Zu viel Körper, zu eng. Bei einem einzigen schlug mein Herz schnell und holperig. Da war nichts zu viel. Da hing ein Hauch von Novemberkühle in der Luft, gepaart mit einem ganz spezifischen Geruch.
    Bei »Strange Days« von The Doors nickte ich ein.
    Kurti wackelte mit dem Zeigefinger vor meiner Nase herum. »Willst du denn gar nicht wissen, was mit mir passiert ist?« Er beugte
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