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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus
Autoren: Luca Di Fulvio
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provozieren.«
    Frese schlug noch mal mit der Faust auf das Lenkrad.
    »Ein beschissenes Leben führe ich, sagt der … Hast du das gehört?«, knurrte er. »Dieser picklige Fettwanst erdreistet sich, über mein Leben zu urteilen.«
    Palermo trat aus dem Schatten.
    Er hatte ihn zunächst verloren. Hatte ihm nicht folgen können. Aber er konnte sich vorstellen, wohin er unterwegs war. Als Erstes hatte er den alten Lieferwagen gefunden, der in einer dunklen Straße stand, mit der Motorhaube nach vorn geparkt. Und dann hatte er ihn bemerkt, dort hinter einem Baum verborgen.
    Er wusste nicht, wie er sich ihm nähern, was er ihm sagen sollte. Wusste nicht, was er tun sollte.
    Er konnte nur an eines denken: Es war alles seine Schuld. Er hatte ihn gezwungen, mit dem Tod zu leben. Er hatte ihm keine Wahl gelassen. Seinetwegen kannten die beiden Wesen in Luz, seine gute und seine böse Seite, nur Gewalt. Die Gewalt der Pädophilie war das Böse. Die Gewalt des Mordes war das Gute, bedeutete Befreiung, das Ende des Albtraums. Gewalt als Ende der Gewalt. Das Böse, das ihn verzehrt hatte, schmeckte nach Blut. Das Gute, von dem er gekostet hatte, schmeckte nach Blut. Zwei gegensätzliche Wesen. Ein Geschmack.
    Das hatte er damals nicht erkannt. Er hatte ihn nicht beschützt. Nicht gerettet.
    Max war außer sich vor Wut. Sein Herzschlag dröhnte ihm laut in den Ohren.
    Dann hörte er ein Rascheln hinter sich. Er drehte sich nicht um, denn er hatte es satt, sich selbst eine Entschuldigung murmeln zu hören. Dieses Mal waren sie endgültig fertig miteinander.
    »Da bin ich …«, sagte eine raue Frauenstimme hinter ihm.
    Max drehte sich überrascht um.
    Die junge Frau ging lächelnd auf ihn zu.
    Sie war groß, wunderschön, hatte glänzende, platinblonde Haare. Ihre Beine, die unter dem Minirock hervorsahen, waren lang und gerade. Die Haut ihres Gesichtes wirkte weiß, wie gepudert, ihre leicht geöffneten Lippen waren feuerrot.
    Sie würden ihn anhalten. Selbst wenn er nur irgendeine junge Frau war. Und er würde keinem von ihnen etwas tun. Denn keiner von ihnen war sein Vater.
    Und deshalb war das nicht notwendig.
    Man würde ihn anhalten, und er würde sagen, wer er war. Daraufhin würden ihn die Polizisten zur Haustür begleiten, durch die Sprechanlage bei Boirons Wohnung anfragen und um eine Bestätigung bitten. »Lassen Sie sie hochkommen, sie ist eine Freundin von mir, ich habe sie schon erwartet«, würde die Ehefrau, die selbst noch ein Kind war, sagen.
    So einfach war das.
    Nur deshalb traf er sich seit zwei Monaten mit ihr, mit dem Hintergedanken, dass dies seine Chance war. Er hatte sich die vertraulichen Geständnisse und das frivole Geschwätz von Signora Boiron nur angehört, um in ihre Wohnung zu gelangen. Er brauchte nur dort hineinzukommen. Und die Polizisten würden ihm eigenhändig die Tür öffnen, die gleichen, die ihn später töten würden. Aber erst würden sie seine Beine anstarren, den Körper von Signora Boirons Freundin begehren, die mitten in der Nacht vorbeikam, weil sie deren Trost brauchte.
    Und sie würden ihn erst töten, wenn sich der Kreis geschlossen hatte.
    Es war alles so einfach. Man musste nur das Vertrauen einer Ehefrau, die selbst noch ein Kind war, gewinnen, sie anlächeln, ihr etwas von dem schenken, was ihr fehlte. Das hatte er gleich begriffen. Sehr früh. Als er noch ein kleiner Junge war. Als es noch leicht war, sein Vertrauen zu gewinnen.
    Und er hatte erfahren, wie es ist, verraten zu werden. Ganz plötzlich. Ohne Vorwarnung. Wenn man es am wenigsten erwartete. Vom Lehrer. Vom Doktor. Vom Sozialarbeiter. Das war die Welt der Erwachsenen.
    Von seinem eigenen Vater verraten zu werden.
    Alles war so einfach, wenn man erst einmal die Regeln verstanden hatte. Da genügte ein Anruf. Eine tränenerstickte Stimme. »Hilf mir bitte, du bist doch meine einzige Freundin«, hatte er zu Signora Boiron gesagt. Zu diesem kleinen Mädchen, dessen sämtliche Verfehlungen er kannte, so gut, dass es seine Bitte nicht ablehnen konnte.
    Papa kannte ihn als Freundin seiner Frau. Sie waren einander schon oft begegnet, besonders wenn die sich mit einem ihrer Liebhaber treffen wollte und vorgab, sie ginge mit ihm aus. Oder vielmehr mit ihr, wie sie beide glaubten.
    Es hatte sich ein zu festes Band zwischen ihnen gebildet – gefestigt durch allzu viele pikante Geheimnisse –, als dass ihn Signora Boiron in dieser Nacht hätte abwimmeln können.
    Es war alles so einfach, wenn man erst einmal die Regeln
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