Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inkarnationen

Inkarnationen

Titel: Inkarnationen
Autoren: Vampira VA
Vom Netzwerk:
schien sich wie durch zähen Widerstand kämpfen zu müssen, so langsam war die Abwärtsbewegung.
    Über dem Mann knirschte und knackte es schon im Mauerwerk und im Gebälk. Bald würde auch dieses Gebäude der Zerstörung anheimfallen. Die Windenvorrichtung würde in die Brüche gehen, und er - »Schneller«, trieb der Mann sich an, »schneller!« Die Bewegung seiner Hände war mit bloßem Auge kaum mehr zu verfolgen.
    Was immer ihn sicher aus den einstürzenden Felsbauten hatte herauskommen lassen, es schien ihn auch jetzt nicht verlassen zu haben. Bald konnte der Mann unter sich schattenhaft den Erdboden ausmachen, von Geröll übersät - und immer noch weit entfernt!
    Ein Ruck!
    Der Korb sackte durch. Etwa einen Meter weit.
    Der Mann sah auf, ohne freilich über sich mehr erkennen zu können als einen kantigen Schatten, fast schon winzig in der Entfernung.
    Der kurze Sturz konnte nur bedeuten, daß die Balkenkonstruktion, über die das Seil lief, zerbrochen war. Vielleicht hatte sich das tragende Gestänge danach in der Luke verkantet - aber für wie lange?
    Während ihm diese Überlegungen durch den Sinn gegangen waren, hatte der Mann nicht aufgehört, den Korb weiter abwärts zu bewegen. Mit bangem Blick versuchte er die verbleibende Distanz zu schätzen.
    Zehn Meter? Nicht sehr viel weniger.
    Weiter!
    Noch sieben, sechs, fünf ...
    Würde er einen Absturz aus dieser Höhe überstehen?
    Der Mann wunderte sich über die Nüchternheit, in der er sich diese Frage stellte. Denn er stürzte längst!
    Krachend zerbarst der Korb unter ihm, als er aufschlug. Um ihn her prallten von weit oben herabstürzende Trümmer auf.
    Irgend etwas traf seinen Hinterkopf, zündete eine Explosion direkt unter seiner Schädeldecke.
    Und die Nacht flutete in seinen Kopf.
    *
    Ich bin das Kind.
    Ich bin Gabriel.
    Aber meine Name ist ebensowenig von Bedeutung wie meine Gestalt. Nicht mehr...
    Denn endlich bin ich dem, was ich immer war und wieder sein wollte, näher denn je zuvor. Obgleich mir die letztliche, körperliche Passage des Tores verwehrt bleiben wird. Weil Michael, der sich in dieser Welt Salvat nennt und dem ich einst gleich war, sie auf ewig verschlossen hat. Gegen die Macht, die sein Tod entfesselt hat, käme ich niemals an.
    Mein jahrhundertelanges Wirken jenseits des Tores war vergebens.
    Indes - es ist gleichgültig. Denn ich bin meinem Ziel fast so nahe, als wenn mein Plan sich in der vorgesehenen Weise erfüllt hätte .
    Obwohl ich noch immer nur die Gestalt eines Kindes besitze, verfüge ich in dieser Hülle doch wieder über all mein altes Wissen - und auch das Machtpotential, über das ich auf Erden einst verfügte, habe ich beinahe schon erreicht.
    Lange genug habe ich dieses Zeitpunkts geharrt.
    Seit jenem Jahr, das in der Zählweise der Menschen als 1666 benannt ist. Welch' eine Ironie, daß die Entscheidung gerade mit dieser Jahreszahl einherging.
    Damals, in der ersten Hälfte jenes Jahrhunderts, hatte ich mir dreigestal-tig den Boden bereitet. Mithin in der Lage, an drei Orten zur gleichen Zeit wirken zu können, brachte ich Zwiespalt, Neid und Haß unter die Menschen, um mich dann, wenn der Boden für mein wahres Wesen bereitet war, zu vereinen mit mir selbst. Zu einem Gott, als der ich mich aufschwingen wollte zum Herrscher über das Chaos; um mich daran zu ergötzen und am Leid der Welt zu laben; um die Menschen wie Marionetten zu führen, denn nichts anderes wollen sie doch sein - ganz gleich, unter wessen Knute. Wenn ein Führer sie denn nur anleitet in ihrem Tun und ihnen das Denken abnimmt, sind sie bereit, ihm blind zu folgen ...
    Meine Saat war damals prächtig gediehen auf Erden. Die Menschheit zerfleischte sich dreißig Jahre lang im Kriege, und schlimmste Folgen erblühten ganz von selbst daraus - Hunger und Armut, übelste Krankheiten. Die Welt war mir zum Wohlgefallen in jener Zeit, und sie war reif, von mir genommen zu werden -
    - hätte nicht Michael mit seiner elenden Brut meinen Triumph vereitelt. Doch sie hatten noch mehr getan in jener Pestgrube, in der ich mir den letzten Rest von Kraft hatte einverleiben wollen, der mir noch fehlte, um die Herrschaft anzutreten.
    So schwer hatten sie mich geschlagen, daß ich nicht nur zurück in meine ureigenen Sphäre geschleudert worden war, sondern so geschwächt dorthin zurückkehrte, daß ich fortan keinen Einfluß mehr nehmen konnte auf die Menschenwelt. Zu sehr war ich damit befaßt, mich zu regenerieren. Alle Kraft mußte ich darauf verwenden, so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher