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Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid
Autoren: Felix Thijssen
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war.
    Nel suchte in ihrer Tasche nach dem Fahrplan. »Jueves«, sagte sie. »Sie salidast um elf Uhr.«
    Wir saßen nebeneinander und starrten in den Nebel. Autos fuhren vorbei, und Lkws nahmen uns hin und wieder die Sicht, wenn sie auf den Platz einbogen und von Stauern über Walkie-Talkies in den Schiffsbauch hinein dirigiert wurden. Auf der anderen Straßenseite steckte Ingrid Tommy in eine rote Jacke. Eine Stewardess in blauer Uniform kontrollierte am Fuße der Treppe ihr Überfahrtticket. Ingrid nahm Tommy am Händchen und erklomm mit dem Koffer in der anderen Hand die Metallstufen.
    »Was ist ein Stalion?«, fragte ich.
    »Das ist Groningisch für Ziegenstall«, antwortete Nel. »Ein kleiner Ziegenstall, für ungefähr zwei Ziegen. Das Staliönchen.«
    »Eigentlich gar nicht so dumm, dass sie die Fähre nimmt«, sagte ich. »Denn Peter denkt schließlich, wir seien mit dem Flugzeug gekommen, und er glaubt, wir hielten uns immer noch in seiner Umgebung auf. Er wird heute den ganzen Tag mit Amrita Theater spielen, um uns in Cala Llonga zu beschäftigen.«
    »Wenn wir ihm nicht auf die Fähre gefolgt wären, wie glaubt er dann, dass wir auf die Idee mit Ibiza gekommen sind?«
    »Er ist der festen Überzeugung, dass wir ihm gar nicht gefolgt sind. Denn wenn er sein Auto irgendwo zurückgelassen hat und geflogen ist, hätte er uns unterwegs zwangsläufig bemerken müssen. Er glaubt, wir hätten einfach gründlich recherchiert, in seiner Vergangenheit gegraben und dabei Amrita entdeckt. Wir könnten sie zum Beispiel unter einem Vorwand angerufen und dadurch herausgefunden haben, dass er zu ihr unterwegs war.«
    »Wie dem auch sei, lass uns dem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen«, meinte Nel.
    »Okay. Aber Groningisch ist keine richtige Sprache.«
    »Noch so eine Bemerkung und ich nehme eine Einzelkabine.«
    Ich schaute hinüber zur Botafoc. Ingrid war im Schiff verschwunden. »Ich glaube, es nimmt sowieso kaum jemand eine Kabine, denn schließlich fahren wir tagsüber, um acht Uhr kommen wir in Barcelona an. Die meisten mieten sich sicher einen Liegestuhl in der Lounge neben dem Restaurant.«
    »Ingrid nimmt bestimmt eine Kabine, wegen Tommy.«
    Ich nickte. »Und bei dem Nebel wird sie sie wohl kaum verlassen.«
    Ich wendete den Wagen und fuhr zurück zum Verwaltungsgebäude, in dem es eine Niederlassung der Mietwagenfirma gab und wir unsere Rückfahrttickets von viernes auf jueves umbuchen konnten. Es gab noch reichlich freie Kabinen; wir konnten sogar unsere alte auf dem Oberdeck bekommen. Im Geschäft am Kai kauften wir Brötchen, spanische Snacks und ein paar Apfel, um nicht auf dem Schiff herumlaufen zu müssen und so Konfrontationen mit Ingrid zu vermeiden.
    »Warum eigentlich?«, fragte Nel. »In Barcelona sieht sie uns sowieso, wir werden doch nicht zulassen, dass sie einfach spurlos verschwindet.«
    »Nein, aber dort bekommen wir womöglich Hilfe von offizieller Seite. Auf dem Schiff veranstaltet sie außerdem einen Aufstand, sobald sie uns sieht. Ihr als allein stehender Frau mit Kind würde man im Zweifelsfall immer Recht geben und uns in Barcelona festhalten, bis die Polizei an Bord kommt, um die Sache zu klären. Lass uns die Probleme so lange wie möglich vor uns her schieben.«
    Um elf Uhr legte die Botafoc vom Uferkai ab und stampfte durch den Dunst und die tief hängenden Wolken hinaus aufs Mittelmeer.
    Es geschah aus heiterem Himmel.
    Ich hatte Niessen angerufen, um ihn auf dem Laufenden zu halten. Er versprach, sein Bestes zu tun, um in Barcelona Unterstützung für uns anzufordern.
    Wir waren seit gut einer Stunde unterwegs und gingen davon aus, dass sich die meisten Passagiere im Restaurant oder in der Cafeteria aufhielten. Oder seekrank im Bett beziehungsweise in den Liegestühlen, denn das Meer war unruhig und das Schiff stieg, sank und bockte über langgezogene Wellen hinweg, mit Schaumkronen, die mindestens auf Windstärke sechs hindeuteten. In der Kabine war es kühl und ungemütlich, deshalb gingen wir an Deck, um eine Zigarette zu rauchen, ein Brötchen zu essen und von der Reling aus auf die wogende See unter dem Nebel zu schauen.
    Als ich die wasserdichte Tür öffnete und über die Stahlkante nach draußen stieg, prallte ich gegen Ingrid.
    Ingrid stieß einen Schrei aus, das Gesicht angstverzerrt. Sie riss Tommy in ihre Arme und rannte weg.
    »Ingrid!«, rief ich. »Warte!«
    Ingrid erreichte das schmale Ende des Innendecks, von wo aus der einzige Ausweg über die Metalltreppe zum
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