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Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid
Autoren: Felix Thijssen
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Also machten sie sich aus dem Staub, während Ibiza zu Tisch sitzt, denn sie glaubten, dass auch wir um diese Zeit beim Essen säßen und sie nicht in einem Hotel hier in der Stadt suchen würden.«
    »Ingrid muss also eine Alternative haben«, meinte Nel. »Sie kann nicht zurück, denn erstens wird das Haus verkauft und zweitens würde man ihr Tommy sofort wegnehmen, das weiß sie. Wohin will sie sich wenden?«
    »Ich gehe davon aus, dass Peter einen Flug für sie gebucht hat. Nach Madrid? Von dort aus könnte sie überallhin. Für uns wird es problematisch, wenn sie dort nur umsteigt und für den Anschlussflug bereits ein Ticket besitzt.«
    Nel tunkte ein Stück Gamba in rote Sauce. »Mir ist dieses Beziehungsgewirr ein Rätsel.«
    »Beziehungswirrwarr ist typisch für Ibiza.«
    Nel schüttelte den Kopf. »Eine Geliebte, die eine Ehefrau und ein Kind akzeptiert?«
    »Peter hat sich sicher eine gute Ausrede ausgedacht.«
    »Peter saß im Gefängnis, als sich Ingrid aus dem Staub gemacht hat. Sie ist ohne ihn mit Tommy hier angekommen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das Ganze war schon vorbereitet. Peter verschaffte ihr genügend Zeit zur Flucht und hat sicher auch das Versteck organisiert. Ibiza war eine gute Idee. Vielleicht wusste Ingrid von Amrita. Amrita erklärte sich einverstanden, es sollte ja nur für kurze Zeit sein; sobald das Haus verkauft wäre, würde Ingrid anderswohin verschwinden und sie hätte Peter für sich allein. So war es geplant. Doch die Ereignisse überstürzten sich und sie waren gezwungen zu improvisieren. In solchen Situationen machen die Menschen Fehler, und davon profitieren wir.«
    »Sie hat noch kein Geld.«
    »Das wissen wir nicht. Wir wissen überhaupt nichts über ihre finanzielle Lage. Sie braucht ja nicht gleich nach Argentinien zu emigrieren; auch in einer billigen kleinen Wohnung in Griechenland wäre sie unauffindbar.«
    »Trotzdem verstehe ich ihre Beziehungen zueinander nicht, besonders das Verhalten dieses Mannes«, quengelte CyberNel mit ihrem dickköpfigen Groninger Hang zur Einfachheit und dem Bedürfnis nach geradlinigen Charakteren. »Vor kurzem hast du noch selbst gesagt, er würde Ingrid anbeten, auf fast sklavische Weise. Und nun lässt er für Amrita alles im Stich?«
    Ich blickte starr auf den Rosé in meinem Glas. Eine Windbö zupfte an der Bordüre der Marquise über unseren Köpfen, flapp, flapp. »Das gehörte zu dem Theaterstück, das sie aufführten«, sagte ich. »Doch sobald das Ziel in greifbare Nähe gerückt war, brauchten sie nicht mehr so tun, als ob.«
    »Du meinst, dass sie diese Abmachung von Anfang an hatten? Wenn du mir zu Tommy verhilfst, kannst du zu deiner Geliebten ziehen und wir sind einander los?«
    Ich nickte. »So in etwa. Sie spielten diese Komödie so perfekt, dass niemand verstand, wie man es als Mann akzeptieren konnte, dass die eigene Frau wegen eines Kindes eine andere Frau ermordet. Diese Form unmenschlicher Grausamkeit hat uns alle verwirrt.«
    Nel legte brüsk ihr Besteck hin. »Sind sie also alle beide verrückt und daher unzurechnungsfähig?«
    »Nein. Na ja, in gewisser Weise schon.« Ich schüttelte wieder den Kopf. »Allerdings habe ich durchaus verstanden, dass ein Mann so etwas nur hinnehmen kann, wenn die entsprechende Frau hinterher nicht mehr seine Frau ist.«
    Sie verstand mich nicht sofort und runzelte die Stirn.
    »Ingrid und Peter hatten nichts mehr miteinander gemein außer dieser Abmachung. Ingrid wollte nur noch ein Kind, und wahrscheinlich am liebsten nicht von Peter.« Ich lachte leise.
    »Das ist nicht zum Lachen«, tadelte mich Nel.
    »Stimmt«, sagte ich. »Es ist pathetisch und traurig. Überhaupt nicht lustig.«
    Regentropfen begannen über unseren Köpfen auf die Marquise zu tröpfeln. »Auch das noch«, sagte Nel.
    »Auf Ibiza regnet es nie lange«, behauptete ich.
    Es regnete immer noch, sogar stärker, als wir mit meiner Jacke über unseren Köpfen zurück ins Hotel rannten. Die Straßen leerten sich, Autos zischten spritzend vorbei, brennende Laternen warfen schwefelgelbes Licht auf die Wolken, die schwer und tief über dem Wasser hingen.
    Nassgeregnete Gäste standen unter dem Vordach des Hotels und blickten unzufrieden in die Nacht. Ein Portier hielt einen Regenschirm hoch. Wir rannten an ihm vorbei. Im Foyer hielten sich nur wenige Leute auf. Nel hatte nasse Füße und verschwand mit der Schlüsselkarte und meiner Jacke in Richtung Aufzug. Ich suchte eine der Toiletten im Erdgeschoss auf und
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