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Infantizid

Titel: Infantizid
Autoren: Matthias Grit; Hoffman Bode-Hoffmann
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hier jemand am Werk war, der sein Handwerk versteht und das schon öfter getan hat. Die beiden Sicherheitsleute hat er weggeschleppt, damit sie keinen eventuell in der Nähe befindlichen Personen auffallen beziehungsweise nicht gleich entdeckt werden. Er will das Risiko mindern, Zeit für seine Flucht zu verlieren. Ich werde mich zur Sicherheit noch mit ein paar Kollegen verständigen, aber ich denke, diese Art zu töten, lernt man nur bei einigen Kampfsportarten oder in Spezialeinheiten der Armee.«
    Â»Oder bei der Polizei. Wir werden in die Computer schauen, um zu prüfen, ob so etwas in dieser Form schon einmal vorgekommen ist. Wir halten Sie auf dem Laufenden«, antwortete Bräunig.
    Der Staatsanwalt verabschiedete sich. Was ist hier los?, überlegte er. Ich muss unbedingt meinen Kollegen Feller anrufen. Der kennt sich in dem Metier aus, schließlich war er früher Militärstaatsanwalt.

    Die Hitze in der Sauna war fast unerträglich. Das Thermometer zeigte 90 Grad Celsius an. Matti Klatt saß auf der obersten Bank und beobachtete die schwitzenden Leute. Sein Augenmerk richtete sich auf eine besonders fette Frau, die eine Reihe unter ihm saß. Ihre Oberschenkel sahen aus wie Waffeleisen, geprägt von Cellulite. Ihr Hintern war überdimensional groß, sie hatte vier armdicke Hüftringe und ihre Brüste lagen auf den Oberschenkeln. Natürlich war diese Frau nicht ansehnlich, aber Matti Klatt bewunderte solche Menschen angesichts ihres Optimismus’ immer wieder. Nach unzähligen Diäten und sinnlosem Hungern wollten sie wohl einen letzten Versuch wagen, durch Bewegung eine einigermaßen akzeptable Figur zu bekommen. So, wie er die Sache einschätzte, war es bei dieser Dame aber ein aussichtsloses Unterfangen.
    Nachdem er den Brief seiner Frau erhalten hatte, versuchte Matti Klatt alles, um sie von ihrer Entscheidung abzubringen. Es halfen jedoch weder Gespräche noch kleine Briefchen oder große, in den Schnee geschriebene Liebeserklärungen. Das folgende Weihnachtsfest und der sich anschließende Jahreswechsel wurden zu den schlimmsten Tagen im Seelenleben des Matti Klatt. Im Januar 2003 zog sie mit der gemeinsamen Tochter aus. Natürlich konnte er das Haus finanziell allein nicht mehr unterhalten und zog ebenfalls weg. Im März war das Haus verkauft, die Erlöse gingen vollständig zur Tilgung des Darlehens drauf.
    Er bezog eine kleine Dachwohnung im nordöstlichen Teil von Weimar, einer ruhigen Gegend der seiner Meinung nach schönsten Stadt Thüringens, und verfiel in Selbstmitleid. Alle anderen waren schuld, nur er nicht. Seine Firma verließ er, die anderen Gesellschafter übernahmen die Geschäfte. Es war ein schönes Gefühl, wenn der Klare oder der Wodka langsam die Kehle hinunterliefen und die Probleme verschwanden. Leider immer nur für zehn oder zwölf Stunden. Anfangs mixte er sich die Drinks mit Cola, aber nachdem ein Dreiviertelliter Schnaps bei ihm nicht mal mehr Sprachschwierigkeiten verursachte, trank er das Zeug einfach pur. Und er stellte fest, dass es mit Whisky noch besser zu ertragen war. Aufgrund nicht bezahlter Rechnungen funktionierte das Telefon schon lange nicht mehr. Sämtliche Versicherungen ließ er sich auszahlen, er durfte nur nicht krank werden. Auf der anderen Seite: Wen interessierte das? Es war ihm schlicht egal. Besuche bekam er keine, angerufen werden konnte er nicht und überhaupt konnten ihn alle mal am Arsch lecken. Bis zu dem Tag, als er am Morgen nach einer durchsoffenen Nacht ein Schrankteil wieder aufstellen wollte – er war am Abend zuvor wankend dagegengefallen – und ihm ein paar Bilder seiner Tochter in die Hände fielen. Sie zeigten sie als kleines Mädchen, als sie in die Schule kam, ihre großen Zahnlücken, ihr erstes Fahrrad, eigentlich den ganzen Weg vom Baby bis zu ihrem 12. Geburtstag. Matti Klatt weinte ungefähr zwei Stunden und traf dann seine Entscheidung. So hatte er es in seinem ganzen Leben gehalten: Turnschuh oder Lackschuh, schwarz oder weiß, Sekt oder Selters! Es gab nichts dazwischen, ein bisschen schwanger gab es ja auch nicht. Er stellte sich neue Regeln auf. Das Saufen war ab sofort tabu. Es musste eine Arbeit gefunden werden, um Geld zu verdienen, um sich wieder etwas aufbauen zu können. Körper und Geist mussten trainiert werden. Er musste unter Menschen und durfte sich nicht länger von der Umwelt
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