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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition)
Autoren: Clemens J. Setz
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Hügel liegt. Er hockt sich vor das Ei und wartet mit angelegtem Gewehr darauf, dass sich der kleine Dodo-Kopf zeigt. There they were, the silent egg and the crazy Dutchman, and the hookgun that linked them forever, framed, brilliantly motionless as any Vermeer. Hin und wieder nickt van der Groov ein, fährt wieder hoch, blickt schnell auf das Ei, ob sich bereits etwas regt. Die ganze Nacht lang. Schließlich geht er unverrichteter Dinge davon, zurück in die Einsamkeit der Jagdgesellschaften, bei denen man sich gemeinsam betrinkt und auf Wolken und Baumwipfel schießt.
    – Ich erinnere mich, sagte Julia. Du hast mir die Stelle vorgelesen.
    – Mein absoluter Lieblingsroman, sagte ich.
    – Ja?
    – Absolut. Es gibt kein besseres Bild für die Menschheit als dieses eine ...
    – Hier, ein Brief für dich, sagte Julia. Mit einem ... mmh ... ja, da ist ein schwarzer Rand. Oje.
    Der Brief war von Frau Stennitzer. Ich riss das Kuvert auf. Christoph Stennitzers Bild fiel heraus. Auf dem Partezettel war ein kleines Teleskop gezeichnet, darüber ein schwarzer, mit traurigem Gesicht und halb offenstehendem Mund auf die Erde herunterblickender Vollmond. Unter dem Mond stand, dass die Beerdigung kommenden Dienstag stattfinden würde. Es war sogar ein kleiner Ausschnitt aus Google Maps abgedruckt, der die Anreise zum Friedhof in Gillingen erleichtern sollte. Eine kleine, grüne 3D-Nadel bezeichnete die Stelle.

TEIL V
    Sturla Sighvatsson erzählte seinem Freund, er habe geträumt, er hielte eine Wurst in Händen und hätte sie gerade gebogen, sie mit den Händen durchgebrochen und ihm, seinem Freund, die Hälfte gegeben. Ja noch mehr, er wüsste, dass der Traum eben in diesem Augenblick stattfände, zur selben Zeit, da er seinem Freund den Traum erzähle und eine Wurst in der Hand hielte.
    Eliot Weinberger

1  Zettelwerk.
Rotkarierte Mappe
    [Handschriftlicher Zettel, Rückseite einer Kaufhausrechnung]
    Letzter Tag. Wieder im Getuige X-1. Ein junger Mann namens Wilhelm ist da. Spricht Deutsch mit österreichischer Färbung. Er trägt ein kleines silbernes Ding auf der Brust. Schlägt er mit der Handfläche darauf, ertönt ein merkwürdiges hohes Geräusch, als würde einem winzig kleinen Roboter das Genick gebrochen. Ferenc ist vollkommen begeistert von dem kleinen Gimmick, am Ende schenkt es ihm W. Als wir für einen Augenblick allein sind, fragt mich W., woher ich komme. Ich schüttle nur den Kopf.
    Später unterhalten sich F. und W. über Highspeed-Cam-Art. Es dauert eine Weile, bis ich verstehe, was damit gemeint ist. Man filmt einen in einem Raum gefangenen Menschen von oben mit einer Webcam, die nur alle paar Sekunden oder sogar Minuten ein Bild schießt, aus diesen Bildern wird dann eine Zeitrafferaufnahme seiner Bewegungen gemacht. Vorbild für diese Kunstform ist, wie sie mir erklären, das Video eines Mannes, der mehr als vierundzwanzig Stunden in einem Lift feststeckte. Das Video selbst ist nur ein paar Minuten lang und im Internet frei verfügbar. Die Bewegungen des Mannes im Fahrstuhl sind hektisch und schnell, er rast durchs Bild, lehnt eine Sekunde (in Wirklichkeit wohl eine halbe Stunde) an der Wand, legt sich hin, ruht sich für ein paar Sekunden aus, steht wieder auf, rast weiter durch den eng begrenzten Raum. Schließlich rettet man ihn, die Türen gehen auf, und er verschwindet aus dem Bild. Ich frage nach, wie lange man für so eine Aufnahme braucht. Im Allgemeinen zwei bis drei Tage, lautet die Antwort. Es hängt ganz von der Person ab. Manche halten länger durch als andere. W. und F. lachen.

[2 ausgedruckte Blätter, mit Heftklammer zusammengehalten]
    Es ist eine eigentümliche Einrichtung. Eine Art Tank, in dem die schwitzenden Männer sitzen. Viele mit Augenklappe, manche auch mit Schnorchel im Mund, wohl eine Art Insiderwitz. Ich nehme Platz zwischen einem Mann mit Backenbart und einem rumpelstilzchenartigen Geschöpf, das einen scharfen Geruch nach Styropor verbreitet, wie Kühlschränke oder andere Küchengeräte es tun, kurz nachdem man sie aus dem Karton gehoben hat, in dem sie geliefert wurden. Die Geometrie der Leiber in der Schwitzkur ist beeindruckend. Alle möglichen Kopfformen sind darunter, am häufigsten findet sich die Glühbirnenform.
    Seit meiner Kindheit spielen in meinen Träumen rhomboide Gestalten aller Art eine wiederkehrende und zentrale Rolle. Das Gesicht des verschrumpelten Geschöpfs, neben dem ich Platz nehme, wirkt deshalb sehr anziehend auf mich, geradezu
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