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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition)
Autoren: Clemens J. Setz
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beschäftigt. Sie … sie war ein Geschenk des Herstellers an den damaligen Besitzer der Feuerwache. Ja, damals … im Jahr 1901 , da war eine Glühbirne eben noch etwas, dasman jemandem als wertvolles Geschenk überreichen konnte. Ich glaube, der Name der Lampe war Charles. Oder George. Irgendwie so. Ich bin mir sicher, viele Leute haben noch einige alte Glühbirnen zu Hause, aber wie man sie pflegt, wie man ihr Leben verlängert und ihr Durchbrennen möglichst lange hinauszögert, ist nicht bekannt. Bestimmt gibt es Techniken, ich meine … es kann so schwierig nicht sein. Trotzdem stehen wir heute ratlos vor ihnen, wenn sie plötzlich nicht mehr leuchten, oder wenn sie flackern oder wenn sie ein gefährliches Summen von sich geben, als wären Insekten in ihrem Inneren eingeschlossen, so wie die Menschen früher vor einem Syphilitiker gestanden sind … man konnte ihm nicht helfen, nur die Stadien seines Verfalls in Zeichnungen und Beschreibungen festhalten.
    – Herr Setz?
    – Hm?
    Robert ermahnte sich, jetzt, da er die Aufmerksamkeit des Mannes wenigstens für einen Moment erlangt hatte, nicht zu schnell zu sprechen.
    – Sie haben mir Ihre Aufzeichnungen über Brüssel gegeben, erinnern Sie sich?
    Der Mathelehrer nickte verblüfft. Ihm war offensichtlich nicht klar, was diese Frage mit dem Glühbirnenthema zu tun hatte.
    – Wann war das? Wissen Sie das noch?
    – Was?
    – Ihre Reise nach Brüssel.
    – Wann?

    – Ah, machte Robert. Egal. Egal!
    Er stand auf, streckte dem Lehrer seine Hand hin. Der nahm sie, schüttelte sie freundlich und klopfte Robert aufmunternd auf die Schulter, so dass dieser zusammenzuckte und sich beherrschen musste, dem Lehrer nicht mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Sie haben keine Ahnung, fiel ihm ein. Er hatte den Satz schon einmal zu ihm gesagt. Vor langer Zeit, Telefonkarte, Kabine, das System war dem jungen Tutor unbekannt gewesen. Alle waren sie damals noch jung, unerfahren. Und jetzt das hier, dieses freigesprochene Wrack. Mit seinen Glühbirnen. Er schnäuzte sich noch einmal in sein Taschentuch. Blickte höflich, aber ratlos. Und atmete ein und atmete aus.
    – Sie müssen noch nicht gehen, sagte der Lehrer plötzlich.
    – Na ja, sagte Robert.
    Er knöpfte sich seinen Mantel zu.
    – Sie sind in Sicherheit, sagte Herr Setz leise.
    – Wie bitte?
    – Sie sind in Sicherheit. Es kann Ihnen nichts passieren. Dafür hab ich gesorgt. Vor langer Zeit. Nicht nur für Sie. Auch für andere Ind… für andere Dingo Baits.
    Er betonte es ironisch. Robert lachte.
    – Haben Sie alles gelesen?, fragte der Lehrer.
    – Nein, nur die getippten Aufzeichnungen und die Kopien, das handschriftliche Zettelwerk dazwischen, das ist mühsam zu entziffern.
    – Ja, ich weiß, sagte der Lehrer verträumt. Meine Blockbuchstaben.
    Sie schwiegen eine Weile. Robert stand da, mit dem halb zugeknöpften Mantel. Dann setzte er sich wieder hin.
    – Ich habe, sagte Herr Setz, dafür gesorgt, dass eine Weile Ruhe ist. Und dafür bezahlt, wie man sieht. Aber natürlich wächst das sofort wieder nach. Der Name ist immer derselbe, der Träger ein anderer. Gemeinsam sind ihnen nur dieser glühbirnenartige Kopf und die schmale Statur.
    Robert sah plötzlich wieder die Wiese im Hof der Helianau vor sich, auf der sie das Zonenspiel gespielt hatten. Arno Golch mit seinen nach Speichel riechenden Fingern. Weißt du, was ich mir wünsche? Dass er dich kriegt, der Ferenz. Dass er dich in seine Finger kriegt. Als was wirst du dich dann verkleiden, hm?
    – Ich habe ihm unglaubliche Schmerzen zugefügt, sagte der Lehrer ganz leise, obwohl niemand sonst im Raum war. Unglaubliche Schmerzen. Kennen Sie diese elenden Puppen, Herr Tätzel? Diese Elis-Produkte? Die haben alle einen Reißverschluss am Rücken, so dass man sie um sie selbst stülpen kann, das Innere nach außen sozusagen. Und die umgestülpte Form hat dann einen anderen Charakter, einen anderen Gesichtsausdruck. Sie stellen diese Puppen schon seit mehr als einem Jahrhundert her. Ich habe vor einiger Zeit die Manufaktur besichtigt. Dort arbeiten noch alle mit der Hand. Und geben jeder einzelnen Puppe einen Namen. Sie denken sich den Namen selbst aus.
    Robert wartete darauf, dass der Lehrer weiterredete. Aber es kam nichts mehr. Eine Weile blieb es still.
    – Wissen Sie, ich hab mal einen Hahn gekannt, begann Robert. Dem hab ich auch einen Namen gegeben. Max.
    – Max, der Hahn, wiederholte Herr Setz, als wäre es eine tiefsinnige
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