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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition)
Autoren: Clemens J. Setz
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philosophische Aussage.
    Er neigte den Kopf zur Seite und wiederholte den Namen leise. Robert war zwar schon seit längerer Zeit davon überzeugt, dass dieser Mann nicht mehr bei Trost war, aber trotzdem sprach er weiter:
    – Ich hab ihn rausgeholt, eines Abends.
    – Ja, sagte der Lehrer. Vielleicht haben Sie das wirklich.
    Er nickte, als erinnerte er sich. Robert stieß genervt die Luft aus, ein aggressiver Seufzer, und beschloss, nichts mehr zu sagen. Sein früherer Mathematiklehrer war zu nichts mehr zu gebrauchen, das musste man leider so sagen. Auch wenn seine Frau so tat, als fiele es ihr nicht auf. Aber gut, wer weiß, vielleicht war jede noch so leise gemurmelte bizarre Bemerkung des Mannes für sie vollkommen sinnvoll. Frauen waren, was das betraf, mit mysteriösen Talenten ausgestattet. Schleusenwärterinnen ihrer sich allmählich in den Unsinn zurückziehenden und in Auflösung begriffenen Männer.
    – Max. Das ist ein schöner Name.
    Robert nickte.
    – Ich habe einmal in Wien einen Desensibilisierungskurs gemacht, sagte der Lehrer. Mit dem Geld, das ich mit meinem zweiten Roman verdient habe. Wegen der Tiere und so. Diese schrecklichen Dinge, die mit ihnen passieren. Aber es hat nichts genützt. Wir saßen alle im Kreis … und sollten auf Stofftiere einprügeln. Lächerlich. Und dann ein paar Videos. Von Schlangen, Rhesusäffchen, von Meerschweinchen, nackten Labormäusen. Ich bin einfach mit geschlossenen Augen dagesessen. Na ja. Rausgeworfenes Geld. Wirklich schade drum.
    Robert wartete, aber der Mathematiklehrer sprach nicht weiter. Wie ein Auto, das nur wenige Tropfen Benzin zur Verfügung hatte. Es fuhr ein paar Meter weit und blieb stehen. Nach einer Weile trat der Kellner an ihren Tisch und fragte, ob er den Herrschaften noch etwas bringen dürfe.



13  Der Brief
    [Grüne Mappe]
    Am Horizont hing das schwere Dunkelblau eines Vorgewitterhimmels. Die wandernden Wolken hatten sich vorläufig verzogen und sich wie American-Football-Spieler am Beginn des Spiels in einem Round-up-Besprechungskreis zusammengerottet, pläneschmiedend jenseits des Horizonts, von wo aus sie bald über das ganze Land ausschwärmen würden, um alles nass zu machen. Als wir vor unserer Haustür standen, zitterte eine Lichtreflexion darauf hin und her, ein Fenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurde von der schwer gewordenen Sonne des späten Tages angestrahlt. Eine auf eine Wand projizierte Qualle.
    Seit meiner Rückkehr aus Brüssel konnte ich keine Türklinken mehr anfassen. Sie ließen mich an die verbreitete Theorie denken, dass jeder Mensch nicht mehr als sechs oder sieben Mal Händeschütteln von praktisch jedem anderen Menschen auf der Erde entfernt ist. Ein weiterer Grund, die Hände in den Hosentaschen zu behalten.
    – Die Sekretärin vom Oeversee-Gymnasium hat angerufen und gefragt, ob du am Montag wieder zur Arbeit erscheinen wirst, sagte Julia.
    – Was hast du geantwortet?
    – Ich hab gesagt, dass es dir schon bessergeht.
    – Hm.
    – Brüssel hat dir nicht gutgetan.
    – Nein. Ich hätte mich am letzten Tag einfach im Hotelzimmer einsperren sollen.
    – Wahrscheinlich.
    – Diese Leute sind vollkommen besessen. Einen haben sie als Endprodukt bezeichnet. Sie waren alle richtig ehrfürchtig ihm gegenüber. So ein alter, vertrockneter Mensch,der schon weiß Gott wie viele Hollereith-Behandlungen hinter sich hat.
    Wir gingen durchs Treppenhaus hinauf in den zweiten Stock. Julia sperrte die Tür auf.
    Ich ließ mich in der Küche auf einen Stuhl fallen. Während der Tage in Brüssel hatte ich komischerweise immer an die Beschreibung der Ausrottung der Dodos in Thomas Pynchons Gravity’s Rainbow denken müssen, wahrscheinlich, weil sie die Menschheit in ein unüberbietbar aussagekräftiges Bild fasst. Ein niederlän-discher Abenteurer namens Frans van der Groov erreicht Ende des siebzehnten Jahrhunderts die Insel Mauritius und tötet dort mit einem neuartigen Gewehr, einer Arkebuse, Hunderte der flugunfähigen Dodos. Diese sagenhaft zutraulichen und von ihren Entdeckern nach ihrem unverwechselbar melodiösen und – wenn man zeitgenössischen Berichten glauben darf – weit durch die Landschaft tönenden entenartigen Lockruf duu-duu benannten Tiere leisten naturgemäß keinen Widerstand. Bald sind alle tot, und ihre verrottenden Kadaver bedecken weite Flächen des Landes. Van der Groov findet schließlich noch ein letztes Ei, das in einer kleinen Grasmulde auf einem verlassenen
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