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Incognita

Incognita

Titel: Incognita
Autoren: Boris von Smercek
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dran?«, fragte John, das Handy ans Ohr gepresst.
    »Ja, Sir. Ich dachte nur, dass etwas mit der Leitung nicht stimmt.«
    »Mit der Leitung ist alles in Ordnung. Wir haben nur eben Besuch bekommen. Irgendein Idiot konnte es sich nicht verkneifen, mit dem Hubschrauber hierherzukommen.«
    »Genau deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen, Sir! Ihr Besuch – das sind Sergej und Anatoli Ljuganow.«
    »Die Ljuganow-Brüder? Aber die wollten doch erst am kommenden Montag vorbeischauen!«
    »Heute ist der kommende Montag, Sir.«
    John zog die Augenbrauen hoch. Er staunte immer wieder darüber, wie schnell er auf dieser Insel die Zeit vergaß. Wehmütig wurde ihm bewusst, dass heute sein letzter Urlaubstag war. Das Eintreffen der Ljuganows war für ihn gleichbedeutend mit seiner Rückkehr in die reale Welt. Er kam sich vor, als sei er soeben mit einem Kübel Eiswasser aus einem süßen Traum gerissen worden.
    Hinter dem Feld, am Fuß des Burghügels, kamen die Rotorblätter des Hubschraubers nun vollends zum Stillstand. Gleichzeitig schwang die Cockpit-Tür auf, und zwei Männer in dunklen Anzügen stiegen aus.
    John klappte das Mobiltelefon zusammen und gab es seinem Besitzer zurück. »Danke, Brian«, sagte er.
    »Keine Ursache.«
    »Kann ich dein Pferd haben?«
    »Nimm es – immerhin gehört es dir.«
    John nickte. Ja, das Pferd gehörte ihm – wie beinahe alles auf dieser Insel. Die Burg, die Häuser, die Bäume, die Felder, die Tiere. Die Frage war nur: Wie lange noch? Die Zukunft von Caldwell Island hing in entscheidendem Maße von den Ljuganows ab.
    John atmete tief durch. Dann saß er auf, trat seinem Pferd in die Flanken und ritt in gestrecktem Galopp auf den Hubschrauber zu.

Kapitel 2
    Sergej und Anatoli Ljuganow waren Vertreter der neuesten russischen Investoren-Generation. Nach dem Zerfall des Sowjet-Imperiums und dem Einzug der Marktwirtschaft mit all ihren Möglichkeiten hatten sie rasch die boomende Freizeit- und Unterhaltungsbranche für sich entdeckt. Mit einer Spielhalle in Moskau fing alles an – Flipper, Billard, einarmige Banditen. Später kamen die ersten Computerkonsolen dazu – Autorennen, Flugsimulationen, Prügel- und Ballerspiele. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, schon bald eröffneten die Ljuganows eine zweite Halle, dann eine dritte. Schließlich verkauften sie alle drei mit ordentlichem Profit und steckten ihr gesamtes Vermögen in die Entwicklung von Unterhaltungselektronik, vornehmlich in jegliche Art von Computer- und Videospieltechnologie. Mittlerweile gehörten sie zu den wohlhabendsten Geschäftsleuten ihres Landes.
    In letzter Zeit investierten sie ihr Geld jedoch zunehmend auch in andere Sparten der Unterhaltungsindustrie. Zum Beispiel wusste John, dass die Ljuganows für beträchtliche Summen Eurodisney-Aktien gekauft hatten. Ein befreundeter Makler in London hatte ihm diesen Insider-Tipp gegeben. Auch in andere europäische Freizeitparks hatten die beiden Russen Geld investiert. Daher hoffte John, sie auch zu einer Finanzspritze für Caldwell Island überreden zu können.
    Dass die Ljuganows Brüder waren, stach sofort ins Auge. Beide waren Mitte vierzig, schlank, blond und derart hellhäutig, als hätten sie schon seit Jahren kein Sonnenlicht mehr abbekommen. Ihre Seidenkrawatten waren dezent, aber teuer, ebenso wie ihre goldenen Armbanduhren. In ihren schwarzen Anzügen wirkten sie unnahbar und ernst, ein wenig wie Mitglieder einer Trauergesellschaft. Ihre ausdruckslosen Mienen verstärkten diesen Eindruck noch.
    John hatte von Anfang an kein gutes Gefühl bei den beiden. Als er sie am Hubschrauber begrüßte, ihnen die Hände schüttelte und versuchte, locker mit Ihnen ins Gespräch zu kommen, signalisierte ihm sein Bauch sofort, dass es verdammt schwer, wenn nicht gar unmöglich sein würde, die Ljuganows zu einer Investition zu bewegen. Aber als Geschäftsmann wollte er keine Chance ungenutzt lassen. Er brauchte Geld, um Caldwell Island nach seinen Vorstellungen auszubauen – dringend! Also wollte er sich alle Mühe geben, sein Mittelalter-Projekt als lohnende Investition darzustellen. Zur Not würde er es den beiden russischen Trauerweiden als Paradies auf Erden verkaufen.
    Während des Aufstiegs zur Burg führte John sein Pferd an den Zügeln. Die Ljuganows gingen neben ihm, sprachen aber nur wenig. John fiel auf, dass sie rasch außer Atem gerieten und zu schwitzen begannen. Den meisten Besuchern – zum Großteil Geschäftsleute, die den ganzen Tag im
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