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Incognita

Incognita

Titel: Incognita
Autoren: Boris von Smercek
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vorstellen kannst. Und während du ihn trinkst und dich von deinem Abenteuer erholst, werde ich dir ein paar Dinge erklären. Ich verspreche dir, du wirst staunen.«
    Gestützt von Gordon schlurfte John in die Küche, wo er den versprochenen Kaffee bekam. »Ich glaube, du wirst ebenfalls staunen, wenn ich dir von meiner Reise erzähle«, sagte er.
    »Ich habe dir nicht zu viel versprochen, oder? Sie war ein Erlebnis! Leugne es nicht. Wir haben deine Körperfunktionen die ganze Zeit über aufgezeichnet und ausgewertet. Diese Reise war für dich spannender als alles, was du bisher erlebt hast!«
    »Spannend ist möglicherweise nicht das richtige Wort dafür. Ich hatte eine Scheißangst – das trifft es denke ich eher. Und falls du glaubst, dass ich dir auch nur ein Pfund für deine weiteren Forschungen gebe, hast du dich geirrt. Übrigens bin ich nicht der Einzige, der so denkt. Du selbst hast es mir empfohlen.«
    »Mein Pendant im Multiversum?«
    »Genau.«
    Gordon lächelte spitzbübisch. »Was wäre, wenn ich dir sage, dass das Multiversum gar nicht existiert? Dass du in keiner Parallelwelt warst – weder während der Südamerika-Expedition noch nach deiner vermeintlichen Rückkehr nach London?«
    John runzelte die Stirn. »Ich habe keine Ahnung, was du damit meinst. Aber ich weiß, was ich erlebt habe. Und es hat mir nicht gefallen!«
    Noch immer verzog Gordon das Gesicht zu seinem typisch breiten Grinsen, so, als habe er noch irgendeinen Trumpf in der Hinterhand, von dem John nichts ahnte. »Ich weiß, was du durchgemacht hast«, sagte Gordon. »Glaub mir, ich weiß es genau. Aber ich versichere dir: Du warst zu keinem Zeitpunkt in Gefahr. Nicht eine Sekunde lang. Alles, was du erlebt hast, spielte sich lediglich in deinem Kopf ab.« Er machte eine Kunstpause, damit John die Neuigkeit aufnehmen konnte. Dann fuhr er fort: »Du hast dieses Labor nie verlassen, John. Weder dein Körper noch dein Geist. Denn wir haben dich weder in eine andere Zeit geschickt noch in ein Paralleluniversum, sondern einzig und allein in die Welt der Träume.«
    John hörte die Worte, glaubte sie aber nicht. Was versuchte Gordon ihm da einzureden? Dass er sich all das nur eingebildet hatte? »Ich war im Dschungel«, sagte er trotzig. »Und ich war in einem anderen London. Beides entpuppte sich als der absolute Wahnsinn …« Er stockte. Die Erinnerung an die vergangenen Gräueltaten schnürte ihm die Kehle zu. »Ich habe Dinge gesehen, von denen du nicht die geringste Ahnung hast, Gordon!«
    »So? Dinge wie beispielsweise einen Baum voller Schrumpfköpfe, Bluthunde im Royal Naval College oder einen Dämon, der in meinem Labor wütet?« Er wusste, dass er jetzt Johns ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. »Du warst die ganze Zeit über hier, angeschlossen an unsere Computer und unter ständiger medizinischer Überwachung. Du hast geschlafen wie ein Säugling.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ziemlich genau zwei Stunden und fünfzehn Minuten.«
    Noch immer weigerte John sich zu glauben, was Gordon ihm da erzählte. »Allein die Südamerika-Expedition hat Wochen gedauert.«
    »Die Zeitwahrnehmung im Traum ist komplett anders als in der Realität«, sagte Gordon. »Ein Traum von wenigen Minuten kann dir das Gefühl vermitteln, Stunden oder gar Tage zu dauern. Diesen Umstand nutzen wir aus. Mithilfe unserer Infusionen schaffen wir es, die REM-Phasen während des Schlafs künstlich auszudehnen.«
    »REM-Phasen?« John hatte den Begriff irgendwann schon einmal gehört, konnte ihn im Moment aber nicht zuordnen.
    »Das sind die Schlaf-Phasen, in denen man hauptsächlich träumt. Dabei ist die Muskelspannung auf ein Minimum reduziert, aber die Hirnaktivitäten ähneln jenen im Wachzustand. Meist bewegen sich beim Träumen die Augäpfel rasant hin und her, daher der Name: rapid eye movement  – REM. Während eines normalen Schlafzyklusses durchläuft man vier oder fünf REM-Phasen, die unterschiedlich lange dauern – zwischen fünf und fünfundvierzig Minuten. In unserem Experiment dehnen wir diese Phasen künstlich aus, während wir die Tiefschlaf-Phasen auf ein Minimum reduzieren.« Als er Johns Reaktion sah, machte er eine abwehrende Handbewegung. »Schau mich nicht so vorwurfsvoll an. Der künstliche Schlaf ist zwar weniger erholsam als der Normalschlaf, abgesehen davon jedoch unbedenklich. Außerdem geschieht alles, was wir hier machen, unter ärztlicher Kontrolle. Ein Glas Bier oder ein Aspirin schaden deinem Hirn mehr als
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