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Incognita

Incognita

Titel: Incognita
Autoren: Boris von Smercek
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Roqua nachrannten. Du warst der Erste, der den Fluchtweg über die Hochebene eingeschlagen und uns dadurch auf den Fehler aufmerksam gemacht hat. Wir haben ihn natürlich sofort behoben. Daher konnte die Expedition später mühelos durch die grüne Mauer marschieren.«
    John seufzte innerlich auf. Er erinnerte sich noch allzu gut an das Gefühl, verfolgt zu werden und urplötzlich in der Falle zu sitzen, weil der grüne Vorhang ihm wie ein riesiger Steinblock den Weg versperrte. Später hatte Orellana den Zug dann ohne Probleme durch die Blätterwand führen können. Dieser kleine Programmierfehler, der mitten im Spiel korrigiert worden war, hatte John an seinem Verstand zweifeln lassen.
    Etwas anderes kam ihm in den Sinn: Er erinnerte sich daran, dass die Gesichter der Konquistadoren anfangs eigenartig kantig und irgendwie unfertig ausgesehen hatten. Er fragte Gordon danach, ob sein Team diese Probleme auf ähnliche Weise behoben hatte.
    »Die anfängliche Grobschlächtigkeit unserer Darstellungen ist eine andere Geschichte«, sagte Gordon. »An sie gewöhnt sich das Gehirn automatisch. Zwar dauert es eine Zeit lang, aber dann ist es in der Lage, fehlende Details in gewissem Umfang selbständig zu ersetzen. Warum das so ist, weiß niemand, aber irgendwie funktioniert es eben.« Er tippte sich mit zwei Fingern an die Schläfe. »Hier oben – hier liegt die wahre Terra incognita. Ein Labyrinth aus Nervensträngen und Synapsen, das wir Menschen nur zu einem Bruchteil überschauen. Eine Welt, über die wir weniger wissen als über den Mond.« Er schüttelte fasziniert den Kopf. »Wie dem auch sei. Jedenfalls kann das menschliche Gehirn Informationslücken zumindest teilweise durch seinen Erfahrungsschatz schließen. Es ergänzt fehlende Puzzlestücke zu einem vollständigen Gesamtbild. Beispiel: Jeder weiß, wie menschliches Haar oder Tierfell aussieht. Bei unserer Computersimulation müssen wir daher nicht jedes einzelne Körperhaar darstellen. Wir deuten es nur an – den Rest erledigen deine grauen Zellen. Dasselbe gilt für Bäume, Straßenzüge, den Himmel, deine Wohnung. Das Gehirn übernimmt die Feinarbeit bei allen Dingen, von denen man eine mehr oder weniger konkrete Vorstellung hat. In unserer Simulation wirken die Gesichter dadurch plötzlich geschmeidiger, die Blüten filigraner, und man erkennt Details in der Umgebung, die wir gar nicht programmiert haben. Das erleichtert uns die Arbeit erheblich.«
    John bemerkte, dass er seinen Kaffee bereits ausgetrunken hatte. »Kann ich noch einen haben?«, fragte er.
    Gordon goss ihm nach.
    Gedankenversunken nippte John an der Tasse. Im Geist durchlebte er noch einmal den Tag, an dem seine Traumreise begonnen hatte. Den Tag nach der Eröffnung der Amazonas-Ausstellung im naturhistorischen Museum.
    »Ab wann begann die Illusion?«, wollte er wissen. »Mit meiner Ankunft in Quito?«
    »Schon vorher«, antwortete Gordon. »Als wir dir die Infusion gelegt haben. Es war kein Schmerzmittel, sondern wie bereits erwähnt eine harmlose Schlaf- und Traumdroge. Danach haben wir dir die Elektrodenkappe aufgesetzt und die Körper-Elektroden angebracht. Dein vermeintlicher Zeitsprung in der Röhre war also bereits simuliert.«
    John spürte, wie sich seine innere Anspannung allmählich löste. Am liebsten hätte er gleichzeitig losgeheult und laut herausgelacht. Was hatte er alles durchlebt! Entbehrungen, Schmerzen, Ängste. Er hatte sogar schon geglaubt, den Verstand zu verlieren, dabei war alles nur eine Illusion gewesen! Er war voll und ganz auf Gordon hereingefallen. »Ich wünschte nur, du hättest auf Lauras Tod verzichtet«, sagte er. »Überhaupt hätte es für meinen Geschmack nicht ganz so blutrünstig sein müssen.«
    »Manche Szenen mögen vielleicht ein wenig heftig gewesen sein«, gab Gordon zu, »aber seit ich dich kenne, warst du immer auf der Suche nach dem ultimativen Nervenkitzel. Den wollte ich dir bieten. Tut mir leid, wenn ich übers Ziel hinausgeschossen bin.«
    Die Entschuldigung stimmte John versöhnlich. »Aber eines verstehe ich noch nicht«, sagte er. » Wozu das Ganze?«
    »Liegt das nicht auf der Hand? Wir wollen den Menschen lebensechte virtuelle Abenteuer anbieten. Nicht nur Dschungel-Expeditionen im sechzehnten Jahrhundert oder Horror-Trips durch ein London voller Merkwürdigkeiten. Bei uns sind viele Module in der Umsetzung. Tiefsee-Abenteuer. Das alte Rom. Eine Reise zum Mars. Dazu natürlich eine Menge gewöhnlicher Urlaubssimulationen. Für
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