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Incognita

Incognita

Titel: Incognita
Autoren: Boris von Smercek
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jeden Geschmack soll das Richtige dabei sein. Was wir hier vorbereiten, ist der erste Schritt zum Cyber-Tourismus. Wir bieten jedem genau das an, was ihm am meisten zusagt. Ein paar Standard-Module für den kleineren Geldbeutel und die ruhigeren Gemüter, gegen Aufpreis aber auch ein individuell zusammengestelltes Abenteuer – so wie bei dir. Ich dachte mir, wenn ich fünfzehn Millionen Pfund von dir will, muss ich dir dafür schon etwas bieten.«
    »Deshalb also die Pizarro-Expedition? Weil du wusstest, dass mich das Thema begeistert?«
    »Nicht nur dich, sondern auch mich, wie du weißt. Der eigentliche Grund ist aber ein anderer: Urwald kann verhältnismäßig einfach realistisch dargestellt werden. Ein paar Pflanzen, ein paar Tiere und ein Flusslauf – mehr braucht man dazu nicht. Daher war eine Reise durch den Dschungel ohnehin das erste Modul, an dem wir vor Jahren zu arbeiten begannen. Später entstand daraus dann die Idee, eine Zeitreise zu simulieren. Auf diese Weise kann jeder, der will, selbst in die Rolle eines spanischen Eroberers schlüpfen. Für dich – und all jene, die es gerne nervenaufreibend haben – wandelten wir das ursprüngliche Abenteuer ein wenig ab, damit es spannender wird.« Er trank einen Schluck Kaffee. »Im Vergleich zum Dschungel stellte die Simulation Londons eine weit größere Herausforderung für uns dar. Aber mithilfe von Satelliten- und GPS-Technik haben wir auch das recht elegant hinbekommen, zumindest die Grobstruktur. Um die Feinheiten einzuarbeiten, sind wir wochenlang durch die Stadt gefahren. Wir haben alles fotografiert und gefilmt und das Material anschließend in den Computer eingespeist. Innenräume – Einkaufszentren, Museen, Restaurants und so weiter – haben wir per Laserscan vermessen und fotografiert. Dasselbe haben wir übrigens mit deinem Büro und deiner Wohnung gemacht, ein paar Tage vor deinem Trip. Laura hat uns dazu die Erlaubnis erteilt. Leider sind uns beim Scannen ein paar Details entgangen, daher hatte zum Beispiel deine Zahnbürste eine andere Farbe. Und alles, was sich nach dem Scan in deiner Wohnung verändert hat, konnten wir in unserer Simulation natürlich nicht mehr berücksichtigen.«
    »Weshalb das Pollock-Gemälde plötzlich wieder an der Wand hing und der bereits entsorgte Ficus wieder im Wohnzimmer stand«, ergänzte John, für den allmählich alles einen Sinn ergab.
    Gordon nickte. Nach einer kurzen Pause führte er seine Erläuterungen fort: »Wie gesagt – die realistische Simulation einer Großstadt stellte uns vor gewisse Herausforderungen. Wir sind auch längst noch nicht damit fertig – wir haben London bislang nur in Teilen rekonstruiert. Das ist der Grund, weshalb du immer wieder das Gefühl hattest, an bestimmten Stellen nicht weiterzukommen. In diesem Fall handelte es sich nicht um Bugs, sondern um gewollte Barrieren – Verkehrsstaus, Straßenabsperrungen für die Queen und so weiter –, damit du das von uns vorgegebene Areal nicht verlassen kannst. Die Teile, die wir noch nicht programmiert haben, kommen in den nächsten Wochen und Monaten dazu. Unser Ziel ist es, über kurz oder lang den kompletten Süden Englands darzustellen, in dem man sich völlig frei bewegen kann. Wer Lust hat, darf sich dort virtuelle Autorennen liefern, an einer Straßenschlacht am Buckingham Palace teilnehmen oder ganz einfach mal in Soho so richtig die Sau rauslassen – eben Dinge tun, die man sich im echten Leben nicht getrauen würde. Genau dafür gibt es uns. Sämtliche Marktforschungen belegen, dass die Nachfrage gewaltig ist.«
    John begann allmählich zu erfassen, welches Potenzial in Gordons Technologie steckte. Die Möglichkeiten waren enorm, das lag auf der Hand.
    »Mit ausreichender Rechenkapazität können wir jede erdenkliche Art von Nervenkitzel darstellen«, sagte Gordon. »Gleichzeitig müssen unsere Kunden keinerlei Risiko für Leib und Leben eingehen, das ist der entscheidende Vorteil. Man kann sogar zwischen zwei unterschiedlichen Intensitätsgraden wählen. Wer will, unternimmt seine Reise im vollen Bewusstsein, dass es sich nur um einen Cyber-Traum handelt. Das lässt manches erträglicher erscheinen. Wer es hundertprozentig realistisch mag, bekommt von uns für die Dauer seines Traums chemische Blocker verabreicht – dann hält er sein Abenteuer für ebenso echt, wie du es getan hast.«
    Gordon schien wirklich an alles gedacht zu haben. Für jeden Wunsch gab es das passende Angebot, wodurch die Anzahl
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