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Incognita

Incognita

Titel: Incognita
Autoren: Boris von Smercek
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Vorstellung, festgeschnallt auf diesem Liegeschlitten in die Chromröhre geschoben zu werden. Aber er war bereit, alles zu erdulden, was nötig war, um heil in seine alte Welt zu gelangen und Laura wieder in die Arme schließen zu können.
    Rawlings zog die Schnallen noch einmal nach und leitete die Zuführung des Schmerzmittels über die Kanüle ein.
    »Also dann, alter Junge«, sagte Gordon und tippte sich zum Abschied mit zwei Fingern an die Schläfe. »Ich schätze, es ist an der Zeit, Lebewohl zu sagen. Richte meinem Alter Ego in deiner Welt einen schönen Gruß von mir aus, in Ordnung? Sag ihm, dass er ein Genie ist – aber auch ein Irrer. Er soll künftig die Finger von seinen unausgegorenen Erfindungen lassen.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Andererseits gibt es im Multiversum unzählige Abbilder von mir – was macht es da schon, wenn nur ein oder zwei davon vernünftig werden, während der Rest weiter das Chaos heraufbeschwört?« Er seufzte.
    »Heißt das, du empfiehlst mir, meine fünfzehn Millionen nicht bei dir zu investieren?«
    »Ich schätze, ja. Genau das soll es heißen.« Er schenkte John ein letztes, aufmunterndes Lächeln, dann verließ er, gefolgt von Doktor Rawlings, den Raum. Die Kabinentür schloss sich. John wurde umgeben von absoluter Stille. Durch die abgedunkelte Verglasung sah er die Schemen der Wissenschaftler, die im Labor die letzten Vorkehrungen für seinen Weltentransfer trafen.
    Gleich wird sich der Schlitten in Bewegung setzten, und ich fahre in die Röhre, dachte John, der bereits spürte, wie das Schmerzmittel zu wirken begann. Unwillkürlich wurde seine Atmung ruhiger, sein Körper entspannte sich. Angenehme Müdigkeit kroch durch seinen Körper.
    Plötzlich unterbrach ein dumpfer Schlag die göttliche Stille. John zuckte zusammen und wollte sich aufrichten, doch die Klettbänder hielten ihn zurück. Nur den Kopf konnte er anheben, und was er sah, ließ ihn erstarren: Eine menschliche Gestalt war gegen die Dunkelglasscheibe geprallt und rutschte nun rücklings daran herunter, eine dicke, schmierige Blutspur hinterlassend, die aus einer Platzwunde am Kopf stammte. Die anderen Wissenschaftler rannten wie aufgeschreckte Hühner herum. John sah auch den Grund dafür: Inmitten des Labors tobte und wütete eine muskelbepackte, mit mächtigen Hörnern ausgestattete Kreatur. Sie stand aufrecht auf den Hinterbeinen, ihre Augen glühten, die Reißzähne ragten wie gebogene Säbel aus dem weit aufgerissenen Maul hervor. Das kurze, dunkle Fell war von dicken, pulsierenden Adern durchzogen.
    Der Dämon aus dem Urwald!
    Der Uracai!
    Je mehr das Monster wütete, desto wilder schien es zu werden. Mit seinen mächtigen Pranken schlug es nach jedem, der in seine Reichweite gelangte. Zwei Techniker wurden von ihm regelrecht aufgeschlitzt. Andere schleuderte es mit solcher Wucht gegen Wände und Laboreinrichtung, dass sie in bizarren Verrenkungen liegen blieben, entweder bewusstlos oder tot.
    Inmitten des Kampfgeschehens erkannte John auch Gordon. In seiner Verzweiflung hatte er sich mit einer Art Prügel bewaffnet – einem abgebrochenen Tischbein. Damit stürzte er sich nun wie ein Besessener auf den Uracai. Doch der drehte sich plötzlich in Gordons Richtung, als habe er den Angriff geahnt. Mit einem einzigen Prankenschlag setzte er ihn außer Gefecht. Aus Gordons Gesicht spritzte eine Blutfontäne, dann fiel er hinter eine Konsole und verschwand aus Johns Blickfeld.
    Doktor Rawlings versuchte, sich in einem Nebenzimmer zu verschanzen, doch das Biest ließ es nicht zu. Mit zwei riesigen Sätzen sprang es dem Wissenschaftler hinterher, packte ihn an seinem Kittel und schlug ihm seine Zähne in den Hals. Der Biss brach dem Mann augenblicklich das Genick. Schlaff wie eine Stoffpuppe sank er in sich zusammen.
    John sah dem grausamen Schauspiel wie in Trance zu. Die Bestie krallte sich in willkürlicher Reihenfolge einen nach dem anderen. Niemand, der im Labor arbeitete, hatte auch nur den Hauch einer Überlebenschance.
    Endlich fand das Gemetzel ein Ende, und ein unheimlicher Friede kehrte ins Labor ein – die Ruhe nach dem Sturm. Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld. Überall lagen entstellte Leichen und abgerissene Gliedmaßen. Der Uracai stand reglos in der Mitte des Raums und schien sein Blutwerk still zu genießen.
    Dann drehte er ganz langsam den Kopf und schaute zur Kabine herüber. Die glühenden Bernsteinaugen schienen das verdunkelte Glas mühelos zu durchbohren. Die
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