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210 - Unter dem Vulkan

210 - Unter dem Vulkan

Titel: 210 - Unter dem Vulkan
Autoren: Ronald M. Hahn
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Almira hatte auch keine Ahnung, zu welcher Spezies ihre Beute gehörte. Nur eins war ihr klar: Äußerliche Hässlichkeit war ohne Einfluss auf den Geschmack.
    Heute Mittag würde es jedenfalls keine Hafergrütze geben!
    Ihr knauseriger Onkel Jules, der seinem Gaumen selten etwas bot, würde sich bestimmt freuen. Sein Geiz hing aber nicht damit zusammen, dass er so zur Welt gekommen wäre. Sein Herr war an seiner Sparsamkeit schuld; er durfte dem Lager, das ihm unterstand, in einem bestimmten Zeitraum für Privatzwecke nur eine Handvoll Reiskörner sowie einen Beutel Tee entnehmen.
    Abgesehen von seiner penetranten Unterwürfigkeit war Onkel Jules ganz in Ordnung. Die Sache mit der Hafergrütze verdankten sie Maitre Magnan, der am Götterberg Kilmaaro in einem Marmorpalast wohnte und von goldenen Tellern aß. Das jedenfalls erzählte man sich in der Handelsstation.
    Nun ja… Almira seufzte. Nicht jeder konnte als Fürst zur Welt kommen.
    Sie legte die Lanze mit dem aufgespießten Fisch über ihre Schulter und machte sich auf den Heimweg. Der Morgennebel hatte sich fast gänzlich aufgelöst. Die ersten Sonnenstrahlen bohrten sich hier und da schon durch die Wipfel der Urwaldriesen.
    Die Handelsstation lag auf der Lichtung im hinteren Drittel des Busches. Sie war nur knapp fünfhundert Schritte von ihrem Lieblingsplatz am See entfernt.
    An ihrem Rand blieb Almira stehen. Irgendwas war anders als sonst. Doch was?
    Ihr Blick huschte über die flachen Gebäude. Vor dem offenen Stalltor, gleich neben dem Arachnidengehege, standen die beiden Kutschen, mit denen die Boiis ihres Onkels alle vier Wochen Handelswaren an den geheimen Platz brachten, an dem Magnans Luftschiff gefahrlos landen konnte.
    War der Monat schon wieder herum? Wohl kaum. Gab es also einen Transport außer der Reihe? Das war noch nie vorgekommen.
    Wie eigenartig. Noch eigenartiger war freilich die Gestalt mit dem Kapuzenumhang, die ein scharlachrotes Kamshaa gerade am Zügel zur Tränke führte.
    Almira sah den Mann nur von hinten. Sie kannte weder ihn noch sein Reittier. Seine Hand, die den Zügel hielt, war unglaublich rosig.
    Wer war dieser eigenartige Gast?
    Almira ging langsam in die Knie. Sie wollte sich klein machen. Sie wollte nicht, dass der bleiche Fremde sie sah.
    Warum dies so war, wusste sie nicht genau, doch sie hatte irgendwie das Gefühl, dass der Mann aus unguten Gründen gekommen war.
    Sie spürte, dass ihr Herz heftig pochte. Dann kam ihr eine Idee: Wenn der Mann für Maitre Magnan arbeitete, konnte er nicht böse sein.
    Wie dumm ich doch bin, dachte Almira. Sei tolerant, hörte sie ihre tote Mutter sagen. Urteile erst, wenn du die Menschen kennst. Der Angriff einer Riesenschlange hatte beide Eltern das Leben gekostet. Seitdem wuchs Almira bei ihrem Onkel auf.
    Der dunkel gekleidete Fremde bewegte sich wie eine Katze.
    Was wollte er hier? Blieb er etwa zum Essen? Almira warf einen schnellen Blick auf den dreiäugigen Fisch und dachte: Dann soll er aber gefälligst Hafergrütze essen!
    Sie zog die Beute von der Lanze, riss Blätter von einem Gebüsch ab und wickelte den Fisch ein. Nachdem sie ihn in einer Baumhöhle versteckt hatte, die auch andere Schätze barg, ging sie über den Pfad zur Handelsstation.
    Als der Fremde ihre Schritte hörte, griff er zur Waffe und fuhr herum. Dann sah er Almira, hielt in der Bewegung inne und deutete eine Verbeugung an. Dabei wandte er den Blick zu Boden, sodass sie sein Gesicht nicht sah. Er schien etwas zu murmeln, doch sie verstand ihn nicht. Die Lanze wieder auf der Schulter, huschte sie an ihm vorbei ins Haus.
    Hinter der Tür blieb Almira stehen. Sie schüttelte sich. Wie unheimlich bleich der Fremde gewesen war. Sie hatte seine Augen gesehen. Blaue Augen! Hoch oben im Norden gab es angeblich jede Menge Menschen mit blauen Augen und gelben Haaren. Hatten die Kinder des Kaisers nicht auch blaue Augen?
    Bevor sie eine Gelegenheit fand, die Lanze im Vorraum abzustellen, ging eine von vier Türen auf. Eine Hand packte ihren Unterarm und zog sie in den Laden hinein, in dem Onkel Jules um diese Zeit seinen Geschäften nachging.
    Im Moment war jedoch kein Kunde da. Der Laden maß sechzig Quadratmeter und war mit Regalen, Kisten, Säcken und Amphoren voll gestopft. Am Tresen wurden normalerweise die Jäger, Fallensteller und Bauern bewirtet, die Onkel Jules all jene Dinge lieferten, die man hier nur schwer bekam. Es roch durchdringend nach Gewürzen, Ölen, exotischen Wurzeln und Saatgut sowie tierischen
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