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Nacht der Vampire

Nacht der Vampire

Titel: Nacht der Vampire
Autoren: Raymond Giles
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    Als Altar diente ein halbfertiger, umgestülpter Sarg auf zwei Holzböcken. Rechts flackerte eine herabgebrannte Kerze. Links lag das  » Buch der Schatten« auf dem Sockel. Ein Räucherbecken und ein Wasserwedel voll Jauche vervollständigten die Ausstattung. Dazwischen waren dreizehn silberne Messer aufgereiht. In der Mitte des Altars -stand ein offenes Tabernakel samt Kelch und Hostienteller, obenauf die schwarze Skulptur einer Fledermaus, die sich auf ihre gefalteten Flügel stützte. Aus ihrem Schädel ragten Teufelshörner.
    Ein schmaler Zwischenraum trennte den Altar von der Wand mit dem großen Bleiglasfenster. An manchen Stellen drang milder Sternenschimmer durch die bunten Butzenscheiben. Das matte, gelb flackernde Licht der Altarkerze erreichte kaum die dreizehn Gestalten, die im Halbkreis vor dem Altar saßen.
    Der Dreizehnte im purpurnen Kapuzenmantel saß dem Altar unmittelbar gegenüber. Links und rechts schlossen sich je sechs Gestalten im Viertelkreis an ihn an. Alle waren schwarz vermummt und hatten die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Nur das Funkeln ihrer Augen war zu sehen. Keiner sprach ein Wort. Keiner regte sich.
    Die Stille des Todes hing im Raum. Und doch schwang ein heimliches, pulsierendes, anschwellendes Zittern durch diese Stille. Es strömte von der purpurroten Gestalt zum Altar und strahlte von dort auf die zwölf schwarzen Kapuzenmänner zurück. Es kreiste durch den Raum, schwoll an, schmiedete sie an den Altar und verschmolz sie zu einem einzigen geballten Willen.
    Komm zurück!  befahl das gemeinsame Denken.  Komm zurück nach Sanscoeur . . .!
    Komm zurück!  lockte es,  komm zurück, komm zurück, komm zurück. . .
    Die Schwingung verebbte. Die Glut im faulig riechenden Räucherbecken glomm rot auf.
    Die Minuten verstrichen.
    Endlich bewegte sich die Gestalt im Purpurmantel. Der Dreizehnte erhob sich und trat auf schmalen, nackten Sohlen mit drei Schritten an den Altar heran. Mit schriller, angespannter Stimme stöhnte er: »Bring sie wieder!«
    Bring sie wieder, o Höllenfürst!«  ächzten die Zwölf.
    »Liefere sie unseren Händen aus!«
    »Unseren Händen, o Höllenfürst!«
    »Liefere sie unseren Zähnen aus!«
    »Unseren Zähnen, o Höllenfürst!«
    »Liefere sie unseren Zungen aus!«
    »Unseren Zungen, o Höllenfürst!«
    »Auf daß sich deine Diener die Bäuche mit dem Blute jener vollschlagen können, die dir abtrünnig wurden!«
    »Mit dem Blut der Abtrünnigen, o Höllenfürst!«
    Der Dreizehnte krümmte sich wie unter Schmerzen zusammen. Wieder herrschte tödliches Schweigen. Nur das bisweilen heftige, aber unterdrückte Schluchzen des Dreizehnten zerriß die Stille. Die Kapuzenmänner verharrten unbeweglich wie die Statue des Fledermausteufels auf dem Tabernakel.
    Wieder löschte die unheimliche Schwingung jede Individualität aus und schmolz die Vermummten zu einer Einheit zusammen. Gleich einem mächtigen, unhörbaren Herzklopfen zitterte sie durch den Raum.
    »Komm zurück!« flüsterte der Dreizehnte leidenschaftlich.
    »Zurück nach Sanscoeur!«
    Die schwarzen Zwölf erhoben sich von ihren Stühlen. Gekrümmt vor Anspannung, zwischen zusammengebissenen Zähnen murmelnd, stolperten sie zum Altar. Einige fielen auf die Knie.
    »Komm zurück! Komm zurück nach Sanscoeur! Komm zurück. Komm zurück, komm zurück!«
    Drohend und demütig flehend hoben sie die Hände. Der Chor entartete in eine schrill heulende Kakophonie. Sie bettelten und beschworen, lockten und befahlen. Mit ihnen schien noch eine andere Stimme zu sprechen. Sie kam aus der Zimmermitte und gleichzeitig aus weiter Ferne. Lautlos sagte sie:  »Komm zurück, komm zurück! Komm zurück nach Sanscoeur!«
    »Komm zurück!«
     
    Duffy Johnson folgte dem Ruf. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Ob der Ruf aus seinem Kopf kam oder von der Straße zu ihm drang, wußte er nicht. Er wußte nur, daß er unwiderstehlich war.
    »Nicht, Duffy«, hörte er Roxanne sagen.
    Sie hatte recht. Er wußte, daß Grauen und Tod ihn erwarteten. Und doch war er in letzter Zeit immer wieder dem Ruf gefolgt.
    »Fahren wir heim, Duffy«, schluchzte Roxanne.
    »Wir sind daheim«, hörte er sich sagen. »Daheim in Sanscoeurville.«
    »Nein, Duffy, nein!«
    Roxanne folgte ihm nach. Sie klammerte sich an seine Hand und hielt ihn zurück. Er spürte keinen Boden unter den Füßen. Ihm war, als ob er schwebte. Kein einziger Stern schimmerte am tintenschwarzen Himmel. Trotzdem erkannte er die Bäume des kleinen Parks genau,
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