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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut
Autoren: Michael Swanwick
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Bodenschätze aus und haben nichts als Herablassung für uns übrig.«
    Der Bürokrat blinzelte überrascht. Ehe er sich eine Antwort zurechtlegen konnte, fuhr der Kommandant fort: »Jedenfalls bin ich Offizier und kenne meine Pflichten.« Er steckte sich eine Tablette in den Mund und saugte geräuschvoll daran. Ein faulig-süßer Geruch breitete sich in der Kabine aus. »Stellen Sie Ihre Forderungen.«
    »Ich habe keine Forderungen«, setzte der Bürokrat an. »Ich möchte bloß ...«
    »Hier spricht die Stimme der Macht. Sie halten die Technik unter Verschluß, die Miranda in ein Paradies verwandeln könnte. Sie kontrollieren die Fertigungsverfahren, die es Ihnen gestatten, unsere Wirtschaft nach Belieben zu unterhöhlen. Wir sind auf Gedeih und Verderb Ihrem Wohlwollen ausgeliefert. Dann kommen Sie mit diesem Schreiben hier hereinspaziert und stellen Forderungen, die Sie zweifellos lieber als Ersuchen bezeichnen, und tun so, als wäre es zu unserem eigenen Wohl. Wir wollen dieses Verhalten doch nicht scheinheilig bemänteln, Sir.«
    »Die Technik hat auf der Erde nicht unbedingt ein ›Paradies‹ geschaffen. Oder unterrichtet man hier keine klassische Geschichte?«
    »Die typische Zurschaustellung von Arroganz. Sie verweigern uns unser materielles Erbe und erwarten auch noch von mir, daß ich Ihnen dafür danke. Nein, Sir, kommt gar nicht in Frage. Ich habe auch meinen Stolz. Und ich...« Er brach ab. In der plötzlichen Stille sah man, wie sein Kopf hin und wieder herabsank, als kämpfte er gegen den Schlaf. Sein Mund klappte auf und zu, auf und zu. Seine Augen schwenkten langsam zur Seite, als suchte er nach einem verlorenen Gedankenfaden. »Und ... äh ... Und ... äh ...«
    »Der Illusionist«, beharrte der Bürokrat, »der sich als Leutnant Chu ausgibt. Haben Sie ihn schon gefunden?«
    Bergier straffte sich, fand seine unerschütterliche Ruhe wieder. »Nein, Sir, das haben wir nicht. Wir haben ihn nicht gefunden, denn er ist nicht mehr hier. Er hat das Schiff verlassen.«
    »Das kann nicht sein. Sie haben einmal angelegt, und niemand ist von Bord gegangen. Ich habe zugesehen.«
    »Wir fliegen zum Meer. Wir sind so gut wie unbesetzt. Auf dem Rückflug, da könnte mir ein agiler, entschlossener Mann vielleicht entgehen. Aber ich habe jeden einzelnen Passagier überprüft und habe meine Crew in jeden einzelnen Frachtraum und jede Gerätekammer des Leviathans hineinschauen lassen. Ich habe sogar einen Techniker mit einem Flugtornister zu den Auslaßventilen hochgeschickt. Ihr Mann ist nicht mehr an Bord.«
    »Das läßt sich nur so erklären, daß er seine Flucht im voraus geplant hat. Vielleicht hatte er einen Faltgleiter an Bord versteckt«, schlug Chu vor. »Für einen athletischen Mann dürfte das nicht schwer gewesen sein. Er hätte bloß ein Fenster zu öffnen und wegzufliegen brauchen.«
    Wahrscheinlicher war, dachte der Bürokrat, und der Gedanke traf ihn mit der Wucht des Unvermeidlichen, wahrscheinlicher war, daß der Mann den Piloten einfach bestochen hatte, damit der ihm etwas vorlog. Um seinen Verdacht zu kaschieren, sagte er: »Mich wundert nur, daß Gregorian sich solche Umstände gemacht hat, um herauszufinden, wieviel wir über ihn wissen. Es scheint kaum der Mühe wert.«
    Bergier blickte finster auf die Monitore und schwieg. Er betätigte einen Schalter, worauf sich das Motorengeräusch veränderte und tiefer wurde. Ganz allmählich wendete das Schiff.
    »Er hat Sie einfach bestochen«, meinte Chu. »So einfach ist das.«
    »Glauben Sie wirklich?« fragte der Bürokrat ungläubig.
    »Zauberern ist nichts unmöglich. Ihren Gedankengängen ist nicht leicht zu folgen. Hey! Vielleicht war das sogar Gregorian persönlich? Er hat schließlich Handschuhe getragen.«
    »Fotos von Gregorian und von Ihrem Doppelgänger«, sagte der Bürokrat. »In Vorderansicht und im Profil.« Er holte sie aus der Aktentasche, schüttelte die Feuchtigkeit ab und legte sie nebeneinander vor die Monitore. »Nein, schauen Sie sich die doch mal an - der Gedanke ist wirklich abwegig. Was sollen denn nun die Handschuhe damit zu tun haben?«
    Chu verglich die hochgewachsene, bullige Gestalt Gregorians sorgfältig mit ihrem schlanken Doppelgänger. »Nein«, pflichtete sie dem Bürokraten bei. »Betrachten Sie nur mal die Gesichter.« Sogar auf dem Foto strahlte eine dunkle, animalische Kraft von Gregorian aus. Er wirkte eher wie ein Minotaurus als wie ein Mann, so kräftig waren seine Kiefer und so üppig seine Brauen, daß
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