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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut
Autoren: Michael Swanwick
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krempelte einen Ärmel hoch und griff ins Goldfischglas. Der Sperlingsfisch wich ihr aus, seine hellen Schwanzflossen huschten durchs Wasser. Dunkler Sand wurde aufgewirbelt und verdeckte ihnen vorübergehend die Sicht. »Der Sperlingsfisch ist ein Höhlenbewohner. Als Gregorian den Vogel ins Wasser tauchte, war er im Sand versteckt. Ein rasche Handbewegung, so«, sie machte es vor, »und der Vogel ist tot. Dann steckt man ihn in den Sand, während der Fisch gleichzeitig hervorkommt.«
    Sie legte den kleinen toten Körper auf den Tisch. »Ganz einfach, wenn man weiß, wie's gemacht wird.«
    Gregorian küßte die alte Frau und stieß sie von der Felswand. Mit zuckenden Gliedmaßen stürzte sie kopfüber ins kalte graue Wasser. Als sie aufschlug und tief in die Dünung tauchte, spritzte weißer Gischt. Sie kam nicht wieder hoch. In einiger Entfernung hob sich etwas Dunkles, Schlankes aus dem Wasser, das an einen Otter erinnerte, dann tauchte es und verschwand.
    Der Bürokrat schaltete den Fernseher aus.
    Die Verbindungsoffizierin lehnte mit geradem Rücken am Fenster und rauchte einen dünnen schwarzen Zigarillo, die Bügelfalten ihrer Uniform waren messerscharf. Emilie Chu war dünn, ein Rasseweib mit zynischen Augen und einem spöttischen Lächeln um den Mund. »Keine Nachricht von Bergier. Offenbar ist mein Doppelgänger entwischt.« Sie streichelte mit kühler Belustigung ihren kaum sichtbaren Schnurrbart.
    »Wir wissen nicht, ob er bereits von Bord gegangen ist«, erinnerte sie der Bürokrat. Die Fenster waren jetzt klar, und in der frischen, hellen Luft erschien die Begegnung mit Chu jetzt unwirklich, wie der Stoff, aus dem Reiseanekdoten sind. »Sprechen wir mit dem Kommandanten.«
    Der rückwärtige Beobachtungsraum war voller uniformierter Schulmädchen von der Laserfield-Akademie, die einen Tagesausflug unternahmen. Während der Bürokrat hinter Chu eine Leiter hochkletterte und durch eine Luke ins Innere des Gasbehälters stieg, stießen sie sich gegenseitig an und kicherten. Als sich die Luke schloß, befand sich der Bürokrat im Innern der dreieckigen Kielverstrebung. Zwischen den hoch-aufragenden Gaszellen war es dunkel, und die schmale Reihe der Deckenleuchten vermittelte eher einen Eindruck der gewaltigen Ausmaße des Leviathans, als daß sie Licht gespendet hätten. Ein weibliches Besatzungsmitglied sprang neben ihnen auf den Verbindungssteg. »Passagiere haben hier keinen ...« Als sie Chus Uniform sah, straffte sie sich.
    »Zum befehlshabenden Piloten Bergier, bitte«, sagte der Bürokrat.
    »Sie wollen den Kommandanten sprechen?« Die Frau starrte ihn an, als wäre er eine Sphinx, die aus dem Nichts materialisiert war, um ihr ein besonders kniffliges Rätsel zu stellen.
    »Wenn es Ihnen nicht zu viele Umstände macht«, sagte Chu mit leiser Drohung.
    Die Frau machte auf den Fersen kehrt. Sie führte sie durch den Schlund des Luftschiffs zum Bug, wo eine dermaßen steile Treppe zur Pilotenkanzel hochführte, daß sie auf allen vieren hinaufgehen mußten. Von der dunklen Holztür schimmerte ihnen eine Einlegearbeit aus Elfenbein entgegen, ein phallisches Rosenmuster. Die Frau klopfte dreimal kurz hintereinander, dann packte sie eine Strebe und schwang sich mit affenartiger Gewandtheit ins Dunkel hoch. Eine tiefe Stimme grollte: »Herein.«
    Sie öffneten die Tür und traten hindurch.
    Die Pilotenkanzel war klein. Die Windschutzscheibe war verdunkelt, so daß der Raum allein von den zahllosen Navigationsschirmen im Vordergrund erhellt wurde. Es roch nach Schweiß und muffiger Kleidung. Bergier, der Kommandant, stand über die Monitore gebeugt und wirkte wie ein betagter Adler. Sein Gesicht war ein bleicher Schnabel, der, als er das Kinn hob, auf einmal edel wirkte; ein Poet mit schütterem Bart, der über den leuchtenden Gefilden seiner Welt brütete. Als er sich umwandte, war sein Blick auf eine ferne Tragödie gerichtet, die ergreifender war, als es jede gegenwärtige Gefahr je hätte sein können. Unter den Augen hatte er dunkle, tief eingegrabene Ringe. »Ja?« sagte er.
    Leutnant Chu salutierte schneidig, und der Bürokrat, dem gerade noch rechtzeitig einfiel, daß sämtliche Luftschiffkommandanten gleichzeitig auch für den inneren Abschirmdienst arbeiteten, zeigte seine Papiere vor. Bergier besah sie sich, reichte sie zurück. »Nicht jeder heißt Ihresgleichen auf unserer Welt willkommen, Sir«, sagte der Kommandant. »Sie halten uns in Armut, Sie leben von unserer Arbeit, Sie beuten unsere
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