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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh
Autoren: C. E. Lawrence
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besser Luft zu bekommen. Das Ding war die reinste Zwangsjacke. War das nicht typisch für Krieger, ihm ausgerechnet dieses Kostüm auszusuchen? Zweifellos genoss sie diese Gelegenheit, ihn demütigen zu können.
    Seine Hand tastete nach dem Revolver in der Manteltasche. Ob die Waffe heute Abend wohl zum Einsatz kommen würde? Er musste nicht lange auf die Antwort warten.

KAPITEL 76
    François Nugent trieb sich im Erdgeschoss herum, schlängelte sich durch herumstehende Grüppchen und schnappte Gesprächsfetzen auf. Er war überzeugt, den Mörder seiner Schwester zu entdecken, nicht vom Aussehen her, sondern durch etwas, das er sagte. So ein Mensch würde sich ja wohl bestimmt verraten – er wäre besessen von Blut und würde sich nicht verkneifen können, darüber zu reden. Vielleicht fragte er möglich Opfer ja sogar nach ihrer Blutgruppe. François konzentrierte sich auf junge Männer, die allein da waren und junge Frauen anquatschten – eine Beschreibung, die leider auf einen hohen Prozentsatz der Anwesenden zutraf. Grenz es ein, sagte er sich. Durch welchen Aspekt seiner Erscheinung könnte sich der Mörder eventuell abheben?
    Eine Schutzbrille nicht, dachte François. Die waren schlicht überall – thronten auf ausgefallenen Frisuren, hingen um Hälse und waren um jede erdenkliche Art von Kopfbedeckung geschlungen: Melonen, Zylinder, Jockeykappen, Pilotenmützen. Die Kostüme waren so kunstvoll und phantasievoll, dass es schwerfiel, sich nicht von ihnen ablenken zu lassen. Aber irgendetwas musste der Mörder haben, irgendetwas musste anders an ihm sein, dachte er, als er durch eine Schar Steampunk-Mädchen schlüpfte, die aussahen wie viktorianische Dirnen.
    Auf der anderen Seite des Raums dachte Lee über ganz Ähnliches nach. Er versuchte, sich kein vorgefasstes Bild vom Aussehen des Unbekannten zu machen. Vermutlich war er noch ziemlich jung, aber das traf auf die meisten Leute hier zu. Die Steampunk-Subkultur zog nicht viele Ältere an. Palatine hatte angegeben, der Mörder sei groß, aber auf die Beobachtung eines paranoiden Schizophrenen konnte er sich nicht verlassen.
    Lee, Butts und Krieger hatten sich in verschiedenen Teilen des Raums positioniert, es gab allerdings auch mehrere Nebenzimmer, die ebenfalls abgedeckt werden mussten. Obwohl das Hauptgeschehen im großen, zentral gelegenen ehemaligen Wohnzimmer stattfand, waren in den anderen Räumen Tische mit Essen und Getränken aufgestellt, und aus allen Bereichen des Erdgeschosses kamen und gingen Leute. Gott sei Dank war die Treppe zum ersten Stock mit einem Seil abgesperrt – es blieb aber noch immer das gesamte Erdgeschoss. Er sah zu Detective Butts hinüber, der nervös an seinen Mantelknöpfen herumfummelte. Ihn mitzunehmen war vielleicht doch keine so gute Idee gewesen; allem Anschein nach war ihm unbehaglich, und er fühlte sich deplatziert.
    Detective Krieger hingegen sah großartig aus. Obwohl sie sich für ein Kostüm entschieden hatte, das erheblich weniger auffällig und unverhohlen sexy war als die anderer Frauen, war es Elena Krieger unmöglich, anders als einfach atemberaubend auszusehen. Sie trug einen bodenlangen, bis zur Mitte geknöpften grauweißen Rock und darunter Schnürstiefel. Dazu keine Bluse, sondern nur eine eng sitzende, mit Messingknöpfen verschlossene Lederweste, die ihre langen, flaumigen Arme bis auf die ellbogenlangen grünen Handschuhe unverhüllt ließ. Um den Hals hatte sie ein Fernglas hängen, und auf ihrem Haar saß eine Schutzbrille.
    Lee fing ihren Blick auf und hob die Augenbrauen – als eine, wie er hoffte, subtile Frage: Ist Ihnen irgendetwas Verdächtiges aufgefallen? Fast unmerklich schüttelte sie den Kopf und wandte sich einem jungen Mann zu, der sich ihr seit einigen Minuten angeschlossen hatte. Er war ein zartes, bleich und vollkommen harmlos aussehendes Kerlchen. Lee nahm an, dass Krieger mit ihm klarkam, und setzte seine Beobachtung des Gewühls fort.
    Und entdeckte plötzlich auf der anderen Seite des Raums François Nugent. Er hatte den Jungen zunächst nicht erkannt, weil er eine Schutzbrille aufhatte, was eine ziemlich gute Tarnung war, vor allem bei diesem schummrigen Licht. Er war es unverkennbar trotzdem – eindeutig François. Und Lee wusste genau, was sein Kostüm darstellen sollte: Er war als Vampirjäger gekleidet.
    »Verdammt«, murmelte er und ging in Richtung des Jungen. Als er sich durch die Menge schob, sah François ihn kommen, und auf seinem Gesicht zeigte sich ein
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