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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh
Autoren: C. E. Lawrence
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aber ohne es hatte er keine Möglichkeit, Butts mitzuteilen, wo er sich befand.
    Mit fast achtzig Sachen rasten sie über das Gelände an Grabsteinen und Mausoleen vorbei – viel zu schnell. Vorbei an einem kleinen See auf der linken Seite, danach an einem größeren, die Straße wand sich in Kurven, bis sie mit einem Mal in eine gerade Strecke auslief, die nach Süden führte. Der Ford beschleunigte wieder. Lee trat das Gaspedal durch, um mitzuhalten.
    Direkt vor ihnen tauchte jetzt ein imposantes Gebäude auf. Mit seinen stattlichen Wänden aus Steinplatten und den runden Ecktürmen ähnelte es einer Kreuzung aus Kirche und Schloss. Lee erkannte, dass er auf die Kapelle und das Krematorium schaute, das Butts erwähnt hatte. Leichter Regen setzte ein, und Lee fummelte herum, um die Scheibenwischer zu finden.
    Ohne Vorwarnung geriet der Wagen vor ihm in eine Öllache oder auf einen feuchten Straßenabschnitt. Mit quietschenden Reifen drehte er sich um hundertachtzig Grad. Lee hatte kaum Zeit zu reagieren. Hart riss er das Steuer nach links, um den Ford nicht zu erfassen. Alle vier Räder des schweren Chevrolet Caravan verloren die Bodenhaftung, als der Wagen über den Randstein schoss, direkt auf ein großes Steingrab zu, auf dem ein Engel hockte.
    Er krallte sich mit beiden Händen ans Lenkrad und zerrte es herum, aber das Gras war glitschig, und die Räder griffen nicht, sondern versanken hilflos in der aufgeweichten Erde. Der Chevrolet Caravan donnerte in den Grabstein, knirschend wurde die Motorhaube zusammengedrückt, als Metall auf Granit traf. Er hatte keine Zeit gehabt, daran zu denken, sich anzuschnallen, und so schleuderte Lee mit voller Wucht nach vorn und schlug mit dem Kopf heftig aufs Lenkrad. Das Letzte, was er wahrnahm, war der Engel, der aus ausdruckslosen Marmoraugen auf ihn herabblickte.
    Dann wurde alles schwarz.
    Als er aufwachte, wusste er nicht, wie lange er weggetreten gewesen war – Sekunden? Minuten? Stunden? Sein Kopf schmerzte, und seine Augen hatten Schwierigkeiten, wieder scharf zu sehen. Er blinzelte heftig und spähte aus dem Fenster. Der Ford stand in wenigen hundert Meter Entfernung vor der Kapelle. Das Wageninnere war dunkel, aber im Gebäude flackerte gelbes Licht. Er mühte sich ab, die Tür aufzubekommen, und drückte mit vollem Gewicht dagegen. Doch die gesamte Vorderfront des Autos war zusammengequetscht worden, und der Türrahmen hatte sich verzogen. Er hielt den Griff gedrückt und versetzte der Tür einen mächtigen Stoß mit der Schulter – und sie gab nach. In seinem Brustkorb und in beiden Schultern pochte es, sie mussten auf das Lenkrad geschlagen sein, als das Auto in den Grabstein krachte. Schwankend kam er auf die Füße, atmete mehrmals tief durch und wischte sich Feuchtigkeit vom Gesicht.
    Es regnete jetzt konstanter, und ein weiches Laken aus kleinen Tropfen überzog den Friedhof. Lee machte ein paar Schritte, war aber zu schwach zum Stehen und sank auf der nassen Erde auf die Knie. Doch er musste weiter. Mit baldiger Unterstützung war nicht zu rechnen. Er war der Einzige, der sich zwischen François und den Mörder stellen konnte. Noch wusste er nicht, was der Unbekannte vorhatte, das flackernde Licht im Gebäude verhieß allerdings nichts Gutes.
    Fieberhaft ruderte er mit den Armen, um etwas zu fassen zu bekommen, und seine Hand stieß auf rauen Stein. Er klammerte sich daran und zog sich mit zitternden Beinen auf die Füße. An die Grabmarkierung gelehnt, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, las er, was in den rauen Granit eingraviert war.

    LAURA CHESTER
    GESTORBEN IM ALTER VON 23 JAHREN
    AUF EWIG GELIEBT, UNVERGESSEN
    Laura. Den Namen seiner Schwester auf dem Grabstein zu sehen riss ihn aus seiner Benommenheit. Als hätte man ihm einen Eimer kaltes Wasser übergeschüttet, war er wie auf Knopfdruck wieder bei vollem Bewusstsein ein. Er fühlte sich hyperwach, nahm jedes Geräusch und jeden Geruch wahr – die Feuchtigkeit, den modrigen Geruch von Erde, den klebrig süßen Duft von Geißblatt aus den umstehenden Wäldern, das Zirpen der Grillen und das Quaken von Fröschen ganz in der Nähe. Nachdem er noch einmal seine Lungen mit Luft vollgesogen hatte, wankte er auf gummiartigen Beinen los. Fledermäuse kreisten über ihm, als er, so schnell ihn seine Füße trugen, durch die Gräberreihen lief. Nebel, weiß und weich wie Zuckerwatte, waberte um seine Füße und verdeckte den Boden unter ihm. Es war, als liefe er auf Wolken. Hinter ihm, auf seinem
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