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In seinem Bann

In seinem Bann

Titel: In seinem Bann
Autoren: Anaïs Goutier
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Präraffaeliten John Everett Millais, William Holeman Hunt und Dante Gabriel Rossetti.
    Höchsten Hotelstandards entsprach aber nicht nur das Ambiente, sondern auch das überaus zuvorkommende Personal.
    Sowohl der ältere Herr, der sich mir nur mit seinem Vornamen George vorstellte und Ian seinen Zimmerschlüssel überreichte, als auch der junge Page namens Steven, der Mark unsere Koffer abnahm, nahmen mich in ihrer zurückhaltend verbindlichen Art sofort für sich ein.
    »Wer ist sonst gerade im Haus, George?« wollte Ian wissen und es war abgesehen von einigen Telefonaten und ein wenig Smalltalk in Prag das erste Mal, dass ich ihn in seiner Muttersprache sprechen hörte.
    »Nur Mr. Cummingham und natürlich Lord Morington, Sir.«
    »Natürlich.« Ian grinste.
    »Soll Mary Ihnen noch etwas zu essen machen?«
    »Nein, nicht nötig, George. Vielen Dank. Wir werden uns jetzt zurückziehen.«
    »Sehr wohl, Sir, Miss Lauenstein. Dann wünsche ich Ihnen eine angenehme Nachtruhe.«
    Hinter Steven stiegen wir die repräsentative Treppe hinauf und folgten ihm im zweiten Stock durch einen Korridor mit sechs Türen zu jeder Seite, bis wir vor einer der Doppel-Kassettentüren stehenblieben und Ian aufschloss.
    Doch statt die Türen zu öffnen, hob er mich im nächsten Moment auf seine Arme.
    »Ein wirkliches Zuhause habe ich dir leider nicht anzubieten, Liebste. Aber ich möchte dich gern stellvertretend über diese Schwelle tragen.«
    Seine verführerisch-sonore Stimme jagte eine wohlige Gänsehaut über meinen Leib, während ich die Arme um Ians Hals schlang.
    Ich weiß nicht genau, was ich hinter dieser Tür erwartet hatte. Ehrlich gesagt war ich noch gar nicht dazu gekommen darüber nachzudenken, wie der einzige private Raum in Ian Reeds Leben aussehen könnte. Aber tatsächlich hätte ich eher mit einer Kopie der durchgestylten Grand-Reed-Suiten gerechnet als mit dem grandiosen Art-Déco-Ensemble, das mich hier empfing.
    »Willkommen in meinem bescheidenen Reich«, sagte Ian und hauchte einen zärtlichen Kuss in meine Halsbeuge.
    »Sag mir, ob auch diese Einrichtung das Werk irgendeines Innenarchitekten ist«, brachte ich staunend hervor.
    »Nun, es gab einen Innenarchitekten, aber jedes Detail entspricht meinen exakten Vorgaben.«
    Ich bewunderte das außergewöhnlich kontrastreiche, geometrisch verlegte Parkett, das Bett mit dem markanten, treppenförmigen Kopfteil und die organisch geformten Nussbaum-Möbel mit ihren strengen Akzenten aus schwarzem Klavierlack.
    Die Sitzgruppe am Kamin bestand aus einem tulpenförmigen Sofa und einem ebensolchen Sessel mit cremefarbenen Bezügen, die auf treppenartigen Nussbaum-Füßen standen.
    Aber das eigentliche Highlight waren die Gemälde an den Wänden und die kleine Marmor-Skulptur auf der geschwungenen Klavierlack-Konsole, deren weißmarmorne Oberfläche mit ihrem Zusammenspiel aus glatten und rauen Elementen wie ein Handschmeichler dazu verführte, sie zu berühren.
    Ehrfürchtig fuhr ich mit den Fingerspitzen über den gebogenen Rücken von Auguste Rodins kauernder Danaide .
    Hinter dem Bett hing eine querformatige Variante von Gustave Moreaus Perseus und Andromeda , ein warmer Farbenrausch aufgelöster Pinselstriche vor einem glühenden Abendhimmel mit einem golden gerüsteten Perseus am Horizont und einer ätherischen nackten, an den Felsen geketteten Andromeda im Vordergrund.
    Genau gegenüber fand Moreaus Gemälde seine Entsprechung in Tamara de Lempickas Art-Déco-Andromeda über dem Kaminsims. Ohne Perseus und ohne Felsen, war diese mit Handschellen versehene kühle Nackte jedoch jeglicher mythologischen Einordnung enthoben und erschien als Sinnbild der verführerischen, lasziven Sklavin, die sich nicht versklaven ließ.
    »Es ist umwerfend, Ian«, sagte ich und strich über die hochglanzpolierte Klavierlack-Säule des Barschranks.
    »Es gefällt dir also?«
    »Du siehst mich überwältigt. Ich liebe das Art Déco und ich beneide dich um diese Kunstwerke.«
    Er grinste breit und wirkte richtig stolz.
    Dann öffnete er eine schmale Tür, die zu einem weiteren, kleineren Raum führte. Ian Reed besaß also doch ein Büro, wenn es sich hier auch eher um ein kleines privates Arbeitszimmer handelte.
    Der ganze Raum war dem kühl-maskulinen Funktionalismus der Bauhaus-Ära verpflichtet. Vor dem schönen Rundbogenfenster stand ein Stahlrohr-Schreibtisch von Marcel Breuer mit einer Wagenfeld-Leuchte darauf und vor der beeindruckenden Bücherwand ragte schräg in den Raum hinein
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