Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis
Autoren: Cay Rademacher
Vom Netzwerk:
die Flügel dreier Mühlen im Wind. Ich hätte es für
     ein gewöhnliches Kloster gehalten, wenn nicht von den Zinnen der
     Mauern Glöckchen erklungen wären und rote Kreuze auf den Ziegeln
     geleuchtet hätten. »Aussätzige«, murmelte ich
     erschrocken, bekreuzigte mich und wich auf die rechte Seite des Weges aus.
    »Die Brüder von
     Saint Lazare nehmen sich der Aussätzigen an, bis der HERR die
     Gezeichneten erlöst«, erklärte Bruder Anselm. Auch er
     bekreuzigte sich - doch wich er nicht von der linken Seite des Weges ab,
     sondern schritt im Schatten der Mauer voran.
    Et extendens manum tetigit
     illum dicens volo mundare et confestim lepra discessit ab illo.
    Beschämt tat ich es ihm
     nach und querte wieder den Weg. Die Pforte von Saint Lazare war fest
     verschlossen, keine Menschenseele war zu sehen. Doch als wir das Kloster
     schon beinahe hinter uns gelassen hatten, erklang ein schauerlicher,
     unmenschlicher Schrei irgendwo aus dem Innern. Mir schien es weniger ein
     Ruf des Leids zu sein, denn ein Triumphgeheul. Ich fröstelte und
     murmelte ein kurzes Gebet. Es kam mir vor, als wären wir durch eine
     verbotene Pforte geschritten, als würde der Antichrist uns höhnisch
     in seinem Reich begrüßen.
    Wir schritten rasch voran,
     noch schneller als zuvor. Langsam wuchs die Zahl der Menschen, die, gleich
     uns, der Stadt zustrebten: Händler, welche auf rumpelnden Karren und
     Maultieren duftende Spezereien, Tuch und wohl tausend andere Schätze
     nach Paris brachten; Bauern in grober, brauner Wolle, die auf Ochsenwagen
     Heu heranschafften oder an langen Tragstangen gefesselte Hühner
     transportierten; zwei oder drei Ritter auf mächtigen Streitrossen,
     gekleidet in roten und blauen Wämsern und begleitet von Knappen, die
     lästerlich fluchten, wenn wir Wanderer nicht schnell genug beiseite
     stoben; Vaganten in grün und gelb, weiß und blau gestreiften
     Beinkleidern, die Lauten und Flöten in Leder gewickelt auf dem Rücken
     tragend; ein Schausteller, der am Nasenring einen erbärmlich
     stinkenden Bären mit räudigem Fell hinter sich herzog;
     liederliche Schönfrauen, deren Gesichter mit Bleiweiß gebleicht
     waren und deren Lippen dank einer schwarzen Kunst, die ich nicht kannte,
     unnatürlich rot leuchteten und die mehr von ihren Brüsten und
     Beinen sehen ließen, als es schicklich war - viel mehr; ein
     Besessener, die Brust benetzt vom Speichel, der aus seinem Mund troff, während
     er unablässig etwas rezitierte, das ich zunächst für einen
     Psalm gehalten hatte, beim Näherkommen aber als sinnloses Gestammel
     erkannte.
    Bruder Anselm ging nun mit
     energischem Schritt voran. Ich spürte, dass er die Straßen,
     belebt wie sie waren, mehr scheute als die einsamen Waldwege, auf denen
     uns Räuber oder Dämonen hätten auflauern können. Er
     wollte nur noch ins Kloster, verschwinden hinter der Sicherheit seiner
     Mauern.
    Mauern sahen wir auch, doch
     waren es weder die des Klosters noch die ersehnten von Paris. Wir
     passierten den Tempel — jene Festung, die sich die Templer einst
     errichten ließen und die, so munkelt man noch heute, das größte
     Schatzhaus des Abendlandes gewesen war. Fast auf den Tag vierunddreißig
     Jahre war es her, dass der König von Frankreich und der Papst Jacques
     de Molay, den Großmeister des Ritterordens, und Sechsundsechzig
     seiner Mitbrüder zu Paris lebend auf den Scheiterhaufen schickten, da
     sie den HERRN gelästert und unaussprechliche Sünden begangen
     hatten.
    »GOTT selbst wird mein
     Rächer sein!«, hatte de Molay noch gerufen, als die Flammen
     schon züngelten, und den Papst und den König bis in die
     dreizehnte Generation verflucht. Außerdem prophezeite er, dass er
     beide binnen Jahresfrist vor dem Richterstuhl des HERRN wiedersehen werde.
     Und tatsächlich: Papst Clemens V. war nur einen Monat später
     gestorben und sieben Monate nach der grausigen Tat war auch König
     Philipp der Schöne dahingegangen, sechsundvierzig Jahre alt und ohne
     sichtbaren Anlass. Keiner seiner drei Söhne regierte länger als
     sechs Jahre, keiner wurde älter als dreiunddreißig Jahre,
     keiner zeugte einen männlichen Erben. Und nun liegt Frankreich
     darnieder, verwüstet von den Landsknechten und Bogenschützen der
     Engländer. Und der Papst sitzt in Avignon, dem neuen Babylon. Den
     Schatz der Templer, so sagt man, hat man nie gefunden. Unter dem Fluch der
     Templer jedoch muss ganz Frankreich, muss die ganze Christenheit ohne
    
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher