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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis
Autoren: Cay Rademacher
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reiche Kaufleute sowie in Samt, Seide und Spitzen gehüllte
     feine Damen auf einem Platz zu finden vermag wie hier. Es war ein Gedränge
     und Gestoße, denn alle, vom Baron bis zum Bauern, mussten sich den
     Platz mit Maultieren und Ochsen teilen, und unablässig strömten
     Menschen hin und fort, von einer Seite der Stadt zur anderen und zurück,
     sodass man wohl trefflich sagen könnte, dass über dem Strom des
     Wassers ein zweiter, aus Leibern, in luftiger Höhe den ersteren
     querte. Die hölzernen Balken knarrten und ächzten unter der Last
     der Menschen und Tiere und unter der Wucht der Seine, die, wiewohl längst
     nicht so groß wie der Rhein, doch imposant genug dem fernen Meer
     entgegenfloss.
    Als wir die Cite erreicht
     hatten, war ich wie geblendet vom Anblick der mächtigen Kathedrale
     Notre-Dame.
    Wie fühlte ich mich
     winzig im Angesicht dieser Stein gewordenen Lobeshymne. In Köln
     bauten die Bürger einen Dom, doch ragten bisher kaum mehr als ein
     paar Gewölberippen in den Himmel. Notre-Dame jedoch war bereits seit
     achtzehn Jahren vollendet. An jenem frühen Abend, meinem ersten in
     Paris, war ich überwältigt und sah kaum mehr als die beiden
     wuchtigen Türme, die, engelhaften Zwillingen gleich, ohne Ende in den
     Himmel strebten. Zwischen ihnen erstrahlte eine Rosette in gelb und rot,
     grün und blau und allen Zwischenfarben des Regenbogens, sodass es mir
     wohl dünkt, dass auch das Licht im Paradies schöner kaum
     leuchten könne. Wie gerne hätte ich einen Blick in das Innere
     der Kathedrale geworfen, doch Bruder Anselm drängte mich, das nahe
     Ziel vor Augen, den Weg zum Kloster fortzusetzen.
    Widerwillig folgte ich ihm
     auf gerader Gasse zum Petit Pont. Als wir am anderen Ende der Insel wieder
     die Seine erblickten, bemerkte ich dort viele wunderliche, fest vertäute,
     plumpe Kähne. Erst bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass es
     schwimmende Mühlen waren: große Barken, mit Wasserrädern
     an den Seiten, welche sich in der unablässigen Strömung drehten.
     Dutzendfach erklang das Knirschen der schweren Mühlsteine, zwischen
     denen das Korn zu Mehl zerrieben wurde. Wir gingen über den Petit
     Pont, dann waren wir in der Universite, am linken Ufer der Seine.                     
    Direkt von der Brücke
     aus führte eine große Straße gerade durch diesen Teil der
     Stadt. Es war die Rue Saint-Jacques. Sie war schlammig, laut und voll,
     denn unzählige Händler, die, mit Karren beladen, aus dem Süden
     Frankreichs, aus Spanien und Italien und GOTT allein weiß, woher
     noch, angereist kamen, drängten sich hier. Zudem sah man hier viele
     junge Männer: manche im Habit eines der großen Orden, andere in
     prächtigen Wämsern, wie es Söhnen von Rittern und reichen
     Kaufleuten wohl geziemt.
    »Es sind Studenten«,
     murmelte Bruder Anselm, dem meine neugierigen Blicke aufgefallen waren.
     Ich glaubte, dass eine Spur Verachtung mitschwang in der Art, wie er dies
     aussprach. Für ihn waren Studenten offensichtlich kaum besser als
     Vaganten.
    Ich hingegen schob mich glücklich
     durch die Menge. Vorbei an düsteren Fachwerkhäusern, aus deren höhlenartigem
     Innern der Lärm und der Gesang der Tavernen erklang. Nun war ich plötzlich
     schneller als Bruder Anselm und konnte es kaum noch erwarten, das Kloster
     — meine neue Heimat — zu betreten.
    Dann endlich deutete Bruder
     Anselm auf eine hohe, dunkle, vom Straßenkot besudelte Mauer, welche
     — wir hatten schon mehr als den halben Weg zwischen Seine und
     Stadttor zurückgelegt - einen Teil der linken Straßenseite
     einnahm. Neben der Mauer erhob sich eine bescheidene Kapelle, deren
     einzige Zierde ein schmaler Turm auf dem Dach war, der von der Rue
     Saint-Jacques aus kaum zu erkennen war. Die Tür zu diesem Haus GOTTES
     stand offen, doch Bruder Anselm führte mich zu einer Pforte in der
     Mauer und klopfte energisch dagegen.
    Ein alter Mönch öffnete
     ein Guckloch und spähte mit kurzsichtigem Blinzeln hinaus, doch als
     er unsere Kutten sah, öffnete er die Pforte, so schnell es seine
     gichtigen Finger erlaubten.
    Das Amt des Portarius oblag
     stets einem älteren Mitbruder - doch so ein Greis wie in Paris war
     mir noch nie in einem Kloster begegnet: Sein Haupt war kahl, die Haut gelb
     wie altes Leder und zerfurcht von den Kratern seiner Pockennarben. Aus
     seinem zahnlosen Mund stank er nach Knoblauch und Fäulnis. Sein Körper
     war so mager, dass es fast wirkte, als
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