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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis
Autoren: Cay Rademacher
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Zweifel leiden.
    In den folgenden Jahren war
     die Festung, wie es ihrer finsteren Vergangenheit geziemt, in einen Kerker
     umfunktioniert worden, in dem der König von Frankreich jene
     schmachten lässt, die sich seinem Willen nicht bedingungslos
     unterwerfen. Als wir am Tempel vorbeizogen, erblickten wir auf seinem
     Mauerkranz Wächter in des Königs Tracht, geschmückt mit
     Lilien, bewaffnet mit Hellebarden, deren grausige Schneiden in der
     Abendsonne rot glühten, als klebte an ihnen Blut. Ich bekreuzigte
     mich.                     
    Sed misso speculatore
     praecepit adferri caput eins in disco et decollavit eum in carcere.
    Dennoch wurde mir das Herz
     weit: Denn nun wanderten wir endlich auf der Grande Rue de la Temple -
     direkt auf eines der mächtigen Stadttore von Paris zu. Und es war
     offen — wie Arme, die zum Willkommen ausgebreitet sind, dachte ich
     an jenem Abend. Wie ein Schlund, der mich verschlang, so denke ich heute.
    Ich ließ mich drängen
     und schieben, als sei ich nichts Besseres als ein Bauernlümmel und,
     ja ich gestehe es, ich wanderte dahin mit vor Staunen offenem Mund. Wie mächtig
     war die Mauer, bestimmt so hoch wie fünf Männer, und bekrönt
     von runden Türmen, so weit das Auge reichte. Über dem Tor
     steckten die abgeschlagenen Köpfe einiger Verbrecher auf Spießen,
     eingehüllt von schwarzen Wolken aus Fliegen.
    Niemand machte sich
     allerdings die Mühe, den Strom der Menschen zu kontrollieren, der
     unablässig in die Stadt brandete, obwohl schon die Wachen aufgezogen
     waren, die bald nach uns die Tore für die Nacht verschließen würden,
     damit Feinde und Räuber sich nicht anschleichen konnten und auch
     keine Wölfe, welche, seit der Krieg das Land heimsuchte, in großen
     Rudeln bis vor die Mauern der Städte schlichen.
    Durch das Tor gelangten wir
     endlich in die Stadt. Paris besteht eigentlich aus drei Städten, von
     denen jede einzelne so groß und so berühmt ist, dass sie
     andernorts jede für sich zur Zierde der Christenheit gerechnet werden
     würden: Am rechten Ufer der Seine — von wo Bruder Anselm und
     ich uns der Stadt näherten - liegt, geschützt von einer in
     weitem Bogen vom Fluss wegführenden Mauer und mächtigen
     Festungen, der Teil, den die Franzosen Ville zu nennen pflegen. Dies ist
     das eigentliche Reich der Bürger, auch wenn hier einige Edle ihre Paläste
     haben und manche Konvente ihre Häuser. Ansonsten sind die Gassen eng
     und die Häuser stehen gedrängt. Hier leben und arbeiten vor
     allem die Händler und Handwerker, die Diener, Laufburschen und
     Arbeiter, die Geldwechsler und Treidler, kurz alle, die tief verstrickt
     sind in weltliche Geschäfte. Hier residiert der Prévôt
     royal, der königliche Vogt in seinem Palast und wacht mit eiserner
     Faust über Ruhe und Ordnung der Bürger. Hier treffen sich die
     zwei Dutzend Ratsherren im Maison aux Piliers, um über die
     Angelegenheiten der Stadt zu befinden.
    Dann, durch Brücken mit
     beiden Ufern verbunden, kommt eine mächtige Insel in der Seine,
     welche die Bürger Cite zu nennen pflegen. Dort dominiert der Dienst
     an den Großen dieser Welt. Auf dem Eiland hat seit Jahrhunderten der
     König von Frankreich seinen Palast - auch wenn er wegen des Krieges
     gegen die Engländer zu diesem Zeitpunkt nur allzu oft andernorts
     weilte, halb als Feldherr, halb als Flüchtling vor den Bogenschützen
     der Feinde. Unverrückbar ist jedoch der Dienst an GOTT - und so
     erhebt sich, zum Ruhme des HERRN, der Muttergottes, der Christenheit und
     der Stadt Paris, auf der Insel die schöne Kathedrale Notre-Dame. Die
     mächtigen Blöcke ihrer beiden Türme überragen das Meer
     der Dächer und lenken die sehnsüchtigen Blicke eines jeden Gläubigen
     unweigerlich zu ihr hin.
    Schließlich, am
     jenseitigen, linken Ufer der Seine, erstreckt sich die Universite. Man könnte
     sie, geschützt hinter einer machtvollen, bogenförmigen Mauer
     liegend, für ein kleineres, ansonsten jedoch identisches Ebenbild der
     Ville halten. Doch während am rechten Ufer das Geld regiert und in
     der Mitte der Glaube, so herrscht am linken Ufer der Geist. Hier sind die
     Kollegien beheimatet, auf denen die im ganzen Abendland gerühmten
     Studien betrieben werden. Außerdem liegen in diesem Teil der Stadt
     die Klöster der großen Orden - auch das der Dominikaner, das so
     heiß herbeigesehnte Ziel meiner langen Wanderung.
    Ich überließ
     Bruder Anselm die Führung,
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