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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis
Autoren: Cay Rademacher
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Abendlandes. Nirgendwo
     wurde das Wort GOTTES so intensiv, so inbrünstig, so voller Eifer, so
     scharfsinnig studiert wie hier. Wer sich der Theologie hingeben wollte, so
     wie ich danach brannte, es zu tun, für den gab es keinen gesegneteren
     Ort in der Welt. Sobald mein Prior mir eröffnet hatte, dass ich nach
     Paris gehen durfte, sprach ich bei Bruder Richard vor. Ihn hatte es -
     niemand wusste, warum - einst von Dijon an den Rhein verschlagen, wo er
     die Gelübde abgelegt hatte, nachdem ihm die Muttergottes im Traum
     erschienen war. Mit ihm übte ich mich in der Sprache der Franzosen.
     Selbstverständlich wusste ich, dass die Gelehrten auch in Paris nur
     Latein sprachen, wie es sich geziemt. Doch wollte ich, der ich mich
     heimlich fürchtete vor jener Welt jenseits der Klostermauern, nicht gänzlich
     hilflos sein auf meinem Weg durch das französische Land. Und ich
     wusste, dass wir, die Dominikaner, auch dem Wort der Predigt verpflichtet
     sind, auf dass die Gelehrsamkeit - wohldosiert und abgewogen, selbstverständlich
     — auch unter das Volk käme. Wie aber hätte ich auf Latein
     oder Deutsch zu den Bürgern von Paris predigen können?
    Als dann an einem Tag im
     April die entscheidende Stunde gekommen war und ich nach der Prim mein
     kleines Bündel packte und mich von allen Brüdern und vom Prior
     verabschiedete, musste ich mich stumm zur Ordnung rufen, um nicht in ungebührlichen
     Jubel auszubrechen. Wer hätte weniger geeignet sein können für
     eine so lange, so gefährliche Reise als ich? Ich war fast zwanzig
     Jahre alt, war groß und dürr, meine blonden Haare woben einen
     wirren Kranz um meine Tonsur, meine Haut war hell, meine Hände lang
     und fein und unvernarbt, meine Fußsohlen weich, da ich noch nie
     einen langen Weg gegangen war. Doch meine Augen waren klar und mein Herz
     weitete sich vor Glück und Sehnsucht nach Paris.
    Bruder Anselm begleitete
     mich, ein schweigsamer Mönch unbestimmbaren Alters. Er hatte den
     beschwerlichen Weg nach Paris schon mehrmals auf sich genommen, um rare
     Manuskripte oder wichtige Botschaften von unserem Kloster an das unserer
     Mitbrüder in Paris zu überbringen. Diesmal führte er, in
     drei Lagen feines Leder eingeschlagen und versteckt in einem Sack aus
     grobem Leinen, auf dass sie nicht die Aufmerksamkeit von Vaganten auf sich
     ziehen möge, eine Abschrift des Kommentars zu den Sentenzen des
     Petrus Lombardus von Albertus Magnus bei sich. Unsere Brüder in Paris
     hatten ihr Exemplar dem Herzog von Orleans ausgeliehen — nicht ganz
     freiwillig, wie ich vermutete — und bis zu jenem Tage nicht zurückerhalten.
     Also hatten sie uns um eine neue Abschrift gebeten. Der Prior hatte seine
     besten Schreiber an diesen ehrenvollen Auftrag gesetzt und diese hatten
     binnen weniger Wochen im Skriptorium das Wunder vollbracht, den Kommentar
     des Albertus Magnus so genau zu kopieren, dass man die Abschrift vom
     Original nur am Pergament unterscheiden konnte, das neuer war, heller und
     noch ohne Stockflecken. Ich war begierig darauf, unterwegs von Bruder
     Anselm mehr über die legendäre Stadt Paris zu erfahren.
     Zweihunderttausend Menschen, so hörte ich sagen, lebten in ihren
     Mauern — eine Zahl so unglaublich, dass mir schien, nicht einmal die
     Heuschrecken, mit denen der HERR das Land des Pharaos plagte, wären
     so groß an Zahl gewesen wie die Bürger von Paris.                     
    Doch Bruder Anselm wich all
     meinen Fragen aus, murmelte Unverständliches, sprach einsilbig, gab
     unverbindliche Antworten. Nach einigen Tagen wurde mir klar, dass ich
     wenig von ihm erfahren würde. Und es dauerte noch etwas länger,
     bis ich glaubte, den Grund dafür erraten zu können. Bruder
     Anselm hatte Angst vor Paris. Niemals habe ich herausgefunden, was ihn in
     Furcht versetzte. Es gelang mir nicht einmal, zu erfahren, ob er nur auf
     dieser einen Reise verzagt war oder ob ihn jedes Mal die Angst packte,
     wenn er vom Rhein an die Seine befohlen wurde. Er sprach jedenfalls während
     der ganzen Reise, außer zu unseren gemeinsamen Gebeten oder wenn es
     sonst unbedingt notwendig war, kein Wort mit mir. Wir rasteten, wo immer
     dies möglich war, in einem Kloster unseres Ordens, wo wir stets in
     Ehren aufgenommen wurden. Mehr als eine Nacht verbrachten wir jedoch unter
     einem Baum oder in der Scheune eines barmherzigen Bauern, wo uns Flöhe
     und Wanzen plagten und Ratten raschelten, wo uns jedoch wenigstens
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