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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis
Autoren: Cay Rademacher
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der
     Regen nicht quälen konnte. In den ersten Tagen schmerzten mir Füße,
     Waden und Oberschenkel, doch langsam gewöhnte ich mich an das
     Wandern. Mein Schritt wurde fester, meine Haut verdunkelte sich. Dann
     juckten mich auch die Bisse der Flöhe kaum noch. Schließlich,
     der HERR möge mir verzeihen, genoss ich es gar, der Enge der
     Klostermauern entkommen zu sein; ich saugte die Welt in mich hinein. Meine
     Reise fiel in eine äußerst unruhige Zeit. Düsternis und
     Unfrieden hatten sich über die Christenheit gelegt. Seit einem
     Menschenalter schon war Rom verwaist. Papst Clemens VI. residierte, wie
     seine Vorgänger, in Avignon und die Gerüchte von
     unaussprechlichen Sünden, begangen hinter den finsteren Mauern seines
     Palastes, waren selbst bis zu uns ins Kölner Kloster gedrungen. Hinzu
     kam, dass in den vergangenen elf Jahren ganz Frankreich zum Schlachtfeld
     geworden war — wohl zum Zeichen SEINES Zornes, denn ER ist betrübt,
     dass der Stellvertreter Christi nicht länger dort residiert, wo es
     ihm geziemt. Der König von Frankreich, Philipp VI., und seine
     Gemahlin, die im Volk verhasst war und nur die »böse, lahme Königin
     Johanna« geschimpft wurde, mussten sich Eduards III. erwehren
     — des Königs von England und, wie er und viele Adelige
     glaubten, auch rechtmäßigen Königs von Frankreich. Anno
     DOMINI 1337 war Eduard in Flandern gelandet und seine Ritter hatten, angeführt
     vom schrecklichen Schwarzen Prinzen, die Franzosen das Fürchten
     gelehrt. Keine zwei Jahre war die Schlacht von Crecy erst her, da die
     englischen Bogenschützen die hochmütigen französischen
     Ritter von ihren Pferden schossen. Viertausend Edle blieben auf dem
     Schlachtfeld zurück und König Philipp konnte gerade noch
     fliehen, mit fünf Begleitern. Calais hatten die Engländer
     eingenommen und es war, so munkelten viele, nur noch eine Frage der Zeit,
     bis sie auch in Paris siegreich einziehen würden. Bruder Anselm und
     ich zogen manche Tage allein über die verschlammten Straßen.
     Wir stolperten in den tiefen Rinnen, welche die schweren Ochsenwagen
     gegraben hatten. Nebel stieg aus Sümpfen und Wäldern auf und
     mehr als einmal bekreuzigten wir uns, weil wir die umherirrenden Seelen
     unbegrabener Toter in den Schwaden erblickten.
    Wir waren erleichtert, wenn
     wir einmal auf Händler stießen, die mit ihren Ochsenkarren und
     Maultieren ein Stück weit des Weges mit uns zogen. Von den Vaganten
     und Spielleuten, Bettlern und Studenten, den Schaustellern und Bärenführern,
     die Musik machten und selbst mitten am helllichten Tag nur zu ihrer
     eigenen Freude höchst sündige Tänze und noch viel
     Schlimmeres aufführten, hielten wir uns hingegen fern.
    Einmal kamen uns einige
     Landsknechte des Herzogs von Burgund entgegengeritten. Ich bekreuzigte
     mich und sprach schnell zum HERRN ein Gebet, dass sie uns nicht unserer
     wenigen Habe berauben, uns gar erschlagen würden. Sie riefen uns ein
     paar grobe Spottworte zu, doch als ich ihnen, wenn auch stammelnd und
     gebrochen, auf Französisch antwortete, wurden sie höflicher. Sie
     ließen uns laufen, am Ende blieb gar einer von ihnen zurück und
     erbat sich unseren Segen. Ich erteilte ihn - was mir Bruder Anselms
     missbilligenden Blick eintrug.
    Dass wir uns Paris näherten,
     erkannten wir zuerst an den Windmühlen — das heißt,
     Bruder Anselm erkannte es und wies mich in einer seiner seltenen Gesten
     der Erklärung darauf hin. Sie wurden zahlreicher und bald reckten sie
     ihre hell bespannten Arme auf jedem Hügel in die Luft.
    »Mehl für Paris
     «, brummte Bruder Anselm. »Die Stadt ist immer hungrig.«
    Es waren die letzten Tage im
     April. Nur selten schickte der HERR einen Sonnenstrahl durch die graue
     Wolkendecke, die ER über SEINE Welt gebreitet hatte. Fast ständig
     nieselte es und wir froren in unseren Kutten, die schwer wurden vor Nässe.
     Auf manchen Hängen beschnitten Bauern die Weinreben, auf anderen
     schlugen sie Pflöcke in den Boden, um neue Zäune auf den Weiden
     zu setzen. Doch wir sahen auch Felder brachliegen und manchen Hof, von dem
     nur noch verbrannte Stümpfe kündeten.
    »Landsknechte«,
     murmelte Bruder Anselm jedes Mal düster und wir bekreuzigten uns.
    Dann erblickten wir den
     Galgen von Paris.
    *
    Nachdem wir den Schindanger
     von Montfaucon passiert hatten, lag linker Hand von uns ein ummauertes
     Geviert, aus dessen Mitte sich ein schlanker Kirchturm erhob; daneben
     rotierten
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