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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis
Autoren: Cay Rademacher
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verberge sich ein Skelett unter der
     viel zu weiten schwarzen Kutte. Ich musste mich, der HERR verzeihe mir,
     überwinden, ihm den obligatorischen Bruderkuss zu entbieten.
    Der Portarius hieß uns
     durch Gesten Willkommen. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis ich
     begriffen hatte, dass er zwar nicht von Natur aus stumm war, aber wohl für
     diesen Tag oder vielleicht auch für länger ein Schweigegelübde
     abgelegt hatte - oder vom Prior dazu verurteilt worden war. Wortlos
     geleitete er uns ins Innere des Klosters, still folgten wir ihm. Kein Laut
     erklang, als wir durch den bescheidenen Kreuzgang schlichen, kein
     Mitbruder war zu sehen. Der ewige Lärm der Pariser Straßen war
     in diesen ruhigen Gängen gebannt, ja nicht einmal eine Meise schien
     sich am Brunnen oder in den Rosensträuchern inmitten des Kreuzganges
     niederzulassen. Am anderen Ende des Kreuzgangs erstreckte sich ein großes,
     zweigeschossiges Gebäude aus massigen Steinen. Neugierig blickte ich
     durch die hohen, spitzbögigen Fenster. Dort sah ich, durch das Glas,
     in dem sich die Abendsonne brach, undeutlich verzerrt, schwarze Schatten
     an Pulten stehen, gebückt und fast regungslos.
    »Das ist das
     Skriptorium«, flüsterte Bruder Anselm mir zu. »Hier
     studieren die Mitbrüder fast den ganzen Tag. Im Stockwerk darüber
     befindet sich die Bibliothek. Es gibt Brüder, die dieses Haus, außer
     zu den Messen, jahrelang nicht verlassen. Du wirst sie an ihrer Haut
     erkennen, die hell ist wie Elfenbein.«
    Der stumme Portarius führte
     uns durch einen engen Gang, dann eine schmale, gewundene Treppe hinauf,
     bis vor eine verschlossene, massive Eichentür. Respektvoll klopfte er
     an, dann drückte er die Tür auf: Wir standen in der Zelle des
     Priors.
    Bruder Carbonnet blickte auf.
     Für einen winzigen Augenblick glaubte ich, dass Verärgerung, ja
     Furcht über sein massiges Gesicht huschte, doch dann schien er nicht
     nur erfreut, sondern geradezu erleichtert zu sein, uns zu sehen. Er stand
     in seinem sechzigsten Jahr. Bruder Anselm hatte mir erzählt, dass der
     Prior, als jüngster Spross einer Adelsfamilie aus Orleans, schon als
     Junge zu den Dominikanern gegeben und, dank seiner edlen Abstammung, auch
     in frühen Jahren bereits zum Prior berufen worden war. Er war ein
     Doktor der Theologie und seine Gelehrsamkeit wurde weithin gerühmt,
     nicht nur innerhalb unseres Ordens. Er war nicht besonders groß,
     doch dick wie ein eichenes Weinfass. Seine dunklen Augen verschwanden fast
     hinter zwei Fettwülsten, als er uns nun aufmerksam musterte.
    Bruder Anselm und ich
     verbeugten uns tief und murmelten unsere Begrüßung.
    »Willkommen bei den
     Jacobins, meine Brüder«, antwortete der Prior. Seine Stimme war
     ungewöhnlich hoch, doch klar und kräftig. Er bemerkte wohl
     meinen verwunderten Blick, denn er nickte mir wohlwollend zu. »So
     nennen uns die Bürger von Paris«, erklärte er mir, »weil
     unser Kloster an der Rue Saint-Jacques liegt.«
    »Ehrwürdiger
     Vater, es ist eine große Ehre, dass ich hier sein darf«, sagte
     ich demütig. Ich überreichte Bruder Carbonnet den gesiegelten
     Brief, in dem mein Kölner Prior mich empfahl. Er studierte das
     Schreiben sorgfältig, dann nickte er. »Mein Amtsbruder hat mir
     schon im letzten Herbst einen Brief geschrieben, in dem er mir dein
     baldiges Kommen ankündigte«, murmelte er. Dann blickte er mich
     aufmerksam an. Jede Spur von Freundlichkeit war aus seinem Antlitz
     gewichen.
    »Du bist, schreibt mein
     Amtsbruder, sehr gelehrt, trotz deiner jungen Jahre?«, fragte er.
    Ich spürte, wie mir die
     Röte ins Gesicht schoss, und wusste darauf nichts zu antworten.
    Er nickte nur. »Und du
     bist Deutscher?«, wollte er dann wissen. »Ja«,
     antwortete ich, verwundert über diese Frage nach etwas doch so
     Offensichtlichem - obwohl ich natürlich, genau genommen, selbst nicht
     wissen konnte, wessen Blut in meinen Adern floss.
    Da schien der Prior einen
     Entschluss gefasst zu haben. Er klatschte in die Hände und der
     Portarius erschien wieder vor der Zellentür. »Bring Bruder
     Anselm ins Gästehaus, auf dass er sich erfrischen und ausruhen kann,
     bevor wir die Vesper feiern«, befahl er dem Greis.
    Als die beiden nach einem
     gemurmelten Abschiedswort im halbdunklen Flur verschwunden waren, wandte
     sich Bruder Carbonnet mir zu: »Dich aber, mein junger Freund,
     schickt der HERR genau zur richtigen Stunde. Es tut mir leid, dir sagen zu
     müssen, dass du
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