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In meinem Himmel

Titel: In meinem Himmel
Autoren: Alice Sebold
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gefunden hatte, dass ich mit Gewissheit tot war.
    »Was?«, fragte meine Mutter ungeduldig. Sie verschränkte die Arme und machte sich auf ein weiteres belangloses Detail gefasst, in dem andere eine Bedeutung sahen. Sie war eine Mauer. Schulhefte und Romane waren nichts für sie. Ihre Tochter konnte auch mit einem Arm überleben. Eine Menge Blut war eine Menge Blut. Es war kein Leichnam. Jack hatte es gesagt, und sie glaubte daran: Nichts ist jemals sicher.
    Als sie aber den Beutel mit meiner Mütze darin hochhielten, zerbrach etwas in ihr. Die dünne Wand aus Bleikristall, die ihr Herz geschützt - sie irgendwie taub für das Glaubenmüssen gemacht hatte - platzte.
    »Die Bommel«, sagte Lindsey. Sie hatte sich aus der Küche ins Wohnzimmer geschlichen. Niemand außer mir hatte sie hereinkommen hören.
    Meine Mutter gab einen Laut von sich und streckte die Hand aus. Es war ein metallisches Quietschen, wie von einem Maschinenmenschen, der kaputtgeht und letzte Geräusche ausstößt, bevor der Motor blockiert.
    »Wir haben die Fasern getestet«, sagte Len. »Anscheinend hat derjenige, der sich Susie genähert hat, diese Mütze bei dem Verbrechen benutzt.«
    »Was?«, fragte mein Vater. Er war machtlos. Man erzählte ihm etwas, das er nicht fassen konnte.
    »Um sie zum Schweigen zu bringen.«
    »Was?«
    »Sie ist mit ihrem Speichel durchtränkt«, gab der uniformierte Beamte, der bislang still gewesen war, unaufgefordert von sich. »Er hat sie damit geknebelt.«
    Meine Mutter riss sie Len Fenerman aus den Händen, und die Glöckchen, die sie in die Bommel genäht hatte, klingelten, als sie auf den Knien landete. Sie beugte sich über die Mütze, die sie mir gemacht hatte.
    Ich sah, wie Lindsey an der Tür erstarrte. Unsere Eltern waren nicht wieder zu erkennen für sie; nichts war wieder zu erkennen.
    Mein Vater begleitete den wohlmeinenden Len Fenerman und den Uniformierten zur Haustür.
    »Mr. Salmon«, sagte Len Fenerman, »bei der Menge Blut, die wir gefunden haben, und der Gewalttätigkeit, die sie, wie ich fürchte, bedeutet, sowie aufgrund anderer Hinweise, die wir erörtert haben, müssen wir von der Annahme ausgehen, dass Ihre Tochter getötet wurde.«
    Lindsey hörte, was sie bereits wusste, seit fünf Tagen wusste, seit mein Vater ihr von meinem Ellbogen erzählt hatte. Meine Mutter begann zu wimmern.
    »Wir werden die Sache von jetzt an als Mordfall behandeln«, sagte Fenerman.
    »Aber es ist keine Leiche da«, versuchte es mein Vater.
    »Alles deutet darauf hin, dass Ihre Tochter tot ist. Es tut mir sehr Leid.«
    Der uniformierte Beamte hatte an den flehenden Augen meines Vaters vorbeigestarrt. Ich fragte mich, ob sie das in der Ausbildung lernen. Len Fenerman dagegen begegnete dem Blick meines Vaters. »Ich schaue später noch mal vorbei«, sagte er.
    Als mein Vater sich wieder dem Wohnzimmer zuwandte, war er zu sehr am Boden zerstört, um auf meine Mutter zuzugehen, die auf dem Teppich saß, oder auf die verhärtete Gestalt meiner Schwester daneben. Er konnte nicht zulassen, dass sie ihn so sahen. Er stieg die Treppe hoch und dachte dabei an Holiday auf dem Vorleger im Arbeitszimmer. Dort hatte er ihn zuletzt gesehen. In die tiefe Fellkrause, die sich um den Hals des Hundes zog, würde mein Vater sich gestatten zu weinen.
    An diesem Nachmittag schlichen die drei schweigend umher, als ob der Klang von Schritten die Neuigkeit bestätigen könnte. Nates Mutter klopfte an die Tür, um Buckley zurückzubringen. Keiner machte auf. Sie trat zurück, denn sie merkte, dass sich im Haus, das genauso aussah wie die Häuser daneben, etwas verändert hatte. Sie machte sich zum Mitverschwörer meines Bruders, indem sie ihm sagte, sie würden jetzt Eiskrem essen gehen und ihm den Appetit verderben.
    Um vier standen meine Mutter und mein Vater schließlich im selben Zimmer im Erdgeschoss. Sie waren durch unterschiedliche Türen hereingekommen.
    Meine Mutter schaute meinen Vater an. »Mutter«, sagte sie, und er nickte. Er erledigte den Anruf bei meinem einzigen lebenden Großelternteil, der Mutter meiner Mutter, Grandma Lynn.
    Ich sorgte mich, dass meine Schwester, allein gelassen, etwas Unbesonnenes tun würde. Sie saß in ihrem Zimmer auf der alten Couch, auf die meine Eltern verzichtet hatten, und arbeitete daran, sich abzuhärten.
Atme tief ein und halte den Atem an. Versuch, immer länger ganz reglos zu bleiben. Mach dich klein, wie zu einem Stein. Klapp deine Ränder hoch und falte sie unter dir, wo niemand sie
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