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In meinem Himmel

Titel: In meinem Himmel
Autoren: Alice Sebold
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der Aussichtslosigkeit ihrer Hoffnung, dass es auf diese Sachen ankäme. Dass ein Fremder, der einen Radiergummi in Form einer Comicfigur fand oder ein Rockstar-Abzeichen, der Polizei seinen Fund melden würde.
    Nach Lens Anruf streckte mein Vater seine Hand aus, und die beiden saßen zusammen im Bett und blickten starr geradeaus. Meine Mutter klammerte sich wie betäubt an ihre Liste, und mein Vater hatte das Gefühl, einen dunklen Tunnel zu betreten. Irgendwann begann es zu regnen. Ich spürte, dass beide dasselbe dachten, doch keiner von ihnen sprach es aus. Dass ich irgendwo da draußen war, im Regen. Dass sie hofften, ich sei in Sicherheit. Dass ich es irgendwo trocken und warm hatte.
    Keiner von beiden wusste, wer zuerst einschlief; mit vor Erschöpfung schmerzenden Knochen nickten sie ein und wachten schuldbewusst zur selben Zeit auf. Aus dem Regen, der sich mit dem Sinken der Temperatur mehrmals verändert hatte, war mittlerweile Hagel geworden, und der Lärm, den er machte, kleine Steine aus Eis, die auf das Dach über ihnen schlugen, weckte sie beide auf.
    Sie sprachen nicht miteinander. In dem spärlichen Licht der Lampe, die auf der anderen Seite des Zimmers noch brannte, schauten sie sich an. Meine Mutter fing an zu weinen, und mein Vater nahm sie in die Arme, wischte ihr mit den Ballen seiner Daumen die Tränen ab, die ihre Wangenknochen krönten, und küsste sie ganz sanft auf die Augen.
    Ich blickte beiseite, als sie sich berührten. Ich richtete mein Augenmerk auf das Maisfeld, um zu sehen, ob es dort etwas gab, das die Polizei am Morgen finden konnte. Der Hagel beugte die Stängel und trieb alle Tiere in ihre Löcher. Flach unter der Erde waren die Labyrinthe der wilden Kaninchen, die ich liebte, der Häschen, die das Gemüse und die Blumen in der Nachbarschaft fraßen und die manchmal unwissentlich Gift mit in ihren Bau einschleppten. Dann rollte sich in der Erde, weit entfernt von dem Mann oder der Frau, die einen Garten mit vergifteten Ködern ausgelegt hatten, eine ganze Kaninchenfamilie zusammen und starb.
    Am Morgen des zehnten goss mein Vater den Scotch in das Spülbecken in der Küche. Lindsey fragte ihn, warum.
    »Ich habe Angst, dass ich ihn trinke«, sagte er.
    »Was war das für ein Anruf?«, fragte meine Schwester.
    »Welcher Anruf?«
    »Ich habe gehört, wie du das gesagt hast, was du immer über Susies Lächeln sagst. Wie explodierende Sterne.«
    »Das habe ich gesagt?«
    »Du bist irgendwie ein bisschen ausgeflippt. Es war ein Polizist, oder?«
    »Keine Lügen?«
    »Keine Lügen«, stimmte Lindsey zu.
    »Sie haben einen Körperteil gefunden. Es könnte Susies sein.«
    Das war ein Schlag in die Magengrube. »Was?«
    »Nichts ist jemals sicher«, versuchte es mein Vater.
    Lindsey setzte sich an den Küchentisch. »Mir wird gleich übel«, sagte sie.
    »Schatz?«
    »Dad, ich möchte, dass du mir sagst, was es war. Was für ein Körperteil, und dann muss ich mich übergeben.«
    Mein Vater holte eine große, metallene Rührschüssel herunter. Er trug sie zum Tisch und stellte sie neben Lindsey, bevor er sich hinsetzte.
    »Okay«, sagte sie. »Erzähl's mir.«
    »Es war ein Ellbogen. Der Hund von den Gilberts hat ihn gefunden.«
    Er hielt ihre Hand, und dann übergab sie sich, wie versprochen, in die glänzend silbrige Schüssel.
    Am späteren Vormittag klarte es auf, und nicht weit von unserem Haus sperrte die Polizei das Maisfeld ab und begann mit ihrer Suche. Regen, Graupel, Schnee und Hagel, die geschmolzen waren und sich vermischt hatten, hatten den Boden durchweicht; trotzdem gab es eine Fläche, wo die Erde vor kurzem offensichtlich umgewühlt worden war. Dort fingen sie an zu graben.
    An manchen Stellen, so sollte das Labor später feststellen, war die Erde mit einer starken Konzentration meines Blutes durchsetzt, aber an jenem Tag wurden die Polizisten immer frustrierter, als sie den nassen Boden durchpflügten und nach einem Mädchen suchten und nichts fanden.
    Am Rande des Fußballplatzes hielten sich ein paar von meinen Nachbarn in respektvoller Entfernung von der Polizeiabsperrung und wunderten sich über die Männer in den schweren, blauen Parkas, die ihre Schaufeln und Rechen schwangen wie medizinische Instrumente.
    Mein Vater und meine Mutter blieben zu Hause. Lindsey saß in ihrem Zimmer. Buckley war nebenan bei seinem Freund Nate, wo er neuerdings viel Zeit verbrachte. Sie hatten ihm erzählt, ich sei für ein Weilchen bei Clarissa zu Besuch.
    Ich wusste, wo mein Leichnam
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