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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht
Autoren: Polina Daschkowa
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abrupt.
    Auf dem Boden vor dem Beifahrersitz lag Olgas Handtasche. Er nahm das Telefon heraus. Auf dem Display leuchtete ein Name: Katja.
    »Hallo, wer ist dran? Wo ist Mama?«, fragte dieselbe Kinderstimme, die als Klingelzeichen fungierte.
    »Katja, hier ist Dima Solowjow. Deine Mama hat ihre Handtasche in meinem Wagen liegengelassen.«
    »Die Handtasche? Das sieht ihr ähnlich. Was ist denn in der Klinik passiert? Wer wurde da ermordet?«
    »Ist Mama denn noch nicht zu Hause? Ich habe sie vor fünf Minuten am Torbogen abgesetzt.«
    »Nein. Sie ist nicht da.«
    Dima sprang mit dem Telefon in der Hand aus dem Auto und lief zurück. Im Torbogen hätte er beinahe einen kleinen Jungen umgerannt.
    »Onkel, bleib stehn! Die Tante ist weg!«, rief der Junge und zog Dima am Ärmel in den Hof.
    Er war noch ganz klein, drei oder vier, und schmutzig und zerlumpt – das sah man sogar im Dunkeln.
    Bestimmt der Kleine aus dem Abrisshaus, von dem Olga erzählt hat, dachte Solowjow.
    »Ein großer Onkel, ist rausgelannt und hat die Tante auf den Kopf gehaut! Da lang, kuck, da lang hat er die Tante getragt!«
    Dima rannte durch den engen Tunnel und kam in der Nachbarstraße heraus. Durch den strömenden Regen sah er die roten Rücklichter eines Wagens und lief so schnell wie noch nie im Leben hinterher. Bevor er das Auto aus den Augen verlor, konnte er noch erkennen, dass es dunkel war, schwarz oder dunkelblau. Doch weder den Wagentyp noch die Nummer.

Vierunddreißigstes Kapitel
    Ein klagendes Stöhnen zwang Olga, die Augen zu öffnen. Sie begriff nicht gleich, dass sie selbst es war, die stöhnte. Sie spürte einen dumpfen Schmerz am Hinterkopf. Als sie versuchte, den Kopf zu senken, durchfuhr ein heftiger Schmerz Kopf und Hals. Ihr Mund war mit einem Pflaster zugeklebt, ihre Hände mit einer dünnen, festen Schnur gefesselt.
    Er hat mich durch den Häuserspalt geschleppt. Als ich aus dem Torbogen kam, hat er mich von hinten überfallen, mir einen Schlag versetzt und mir einen Sack über den Kopf gezogen. Er hat mir den Mund zugeklebt und die Arme gefesselt. Dann hat er mir irgendwas gespritzt. Darum ist mir jetzt so schlecht. Wie lange war ich bewusstlos? Wie weit sind wir schon gefahren?
    Ihre Hände waren vorn gefesselt. Sie versuchte, die Arme zu heben, um das Pflaster abzureißen, aber die Finger gehorchten nicht. Sie waren taub, wie der ganze übrige Körper.
    Draußen huschten einzelne Lichter vorbei. Ein Industriegelände. Hohe Betonmauern, Rohre, Garagen, trostlose gewaltige Fabrikgebäude und Lagerhallen.
    Olga stöhnte absichtlich laut, um den Fahrer auf sich aufmerksam zu machen. Im Rückspiegel war sein Gesicht nicht zu sehen.
    »Hab Geduld, nicht weinen«, sagte eine Stimme, die aus einem tiefen Brunnen zu kommen schien; sie war dumpf und heiser und Olga vollkommen unbekannt.
    Olga antwortete mit einem Brummen.
    »Du bist bald frei, ich werde dir helfen.«
    Im normalen Leben hat er bestimmt eine ganz andere Stimme. Mit wem redet er? Natürlich nicht mit mir. Seinen früheren Opfern hat er nicht den Mund zugeklebt und nicht die Hände gefesselt. Aber sie sind auch freiwillig zu ihm ins Auto gestiegen und haben erst im letzten Moment geschrien, als es schon keine Rolle mehr spielte. Seine Opfer waren Kinder und Jugendliche. Ich bin eine erwachsene Frau. Ich bin seinem Geheimnis zu nahegekommen, darum hält er es für notwendig, mich zu töten. Aber warum hat er es nicht gleich getan?
    Der Wagen überquerte ein Schmalspurgleis, bog in eine dunkle Gasse ein und hielt. Der Mann hinterm Steuer stieg aus, öffnete die hintere Tür, packte Olga an den gefesselten Händen und zerrte sie heraus. Er handelte geschickt und schnell. Er trug eine schwarze Jacke mit Kapuze. Es regnete noch immer in Strömen. Olga versuchte sich loszureißen, schaffte es aber nicht. Ihr Körper gehorchte ihr nach wie vor nicht, und ihr war übel, doch im Kopf war sie vollkommen klar.
    Die dunkle Kapuze verbarg sein Gesicht. Die Hände, die sie unter den Achseln gepackt hatten, waren wie aus Eisen. Er erinnerte eher an einen Roboter als einen Menschen. Dima hatte gesagt, Shenja Katschalowa habe Moloch in ihrem Tagebuch als Kyborg oder Bioroboter bezeichnet.
    Olga hörte ihn atmen. Sie nahm seinen Geruch wahr. Er roch nach Zahnpasta, Kräuterseife und Rasiercreme.
    Er wechselt das Auto, also rechnet er mit Verfolgung? Mit Straßenkontrollen? Ja, diesmal hat er sich besonders gut abgesichert.
    Moloch verfrachtete sie auf den Rücksitz und schlug die
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