Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
Tür zu. Er setzte sich ans Steuer und ließ den Motor an.
    Getönte Scheiben, registrierte Olga. Der erste Wagen war teurer und neuer. Der hier ist alt und eng. Er hat mich gut gefesselt – also lässt die Wirkung der Spritze bald nach.
    Ihre eigene Ruhe erschreckte sie. Als widerfahre das alles nicht ihr, als schaue sie einen Film. Vermutlich ein unbewusster Selbstschutzmechanismus. Oder die Wirkung der Spritze?
    Sie bogen auf eine belebte Straße ab. Autos rasten vorbei. Darin saßen Menschen, zum Greifen nahe. Vor ihnen flammte eine Ampel rot auf. Olga wollte mit dem Kopf gegen die Scheibe schlagen und schreien. Deutlich sah sie das Profil eines dicken älteren Mannes am Steuer des Wagens neben ihnen. Er rauchte und blickte vor sich hin. Doch selbst wenn er sich umgedreht hätte – durch die getönten Scheiben hätte er sie kaum gesehen. Sie rutschte weiter zur Seite und schlug mit der Schläfe gegen die Scheibe. Es war nur ein schwacher Stoß, trotzdem wurde ihr schwindlig. Die Ampel schaltete auf Grün. Die Autos fuhren los.
    Olga stöhnte laut. Über ihre Wangen rannen langsam kitzelnde Tränen.
    »Der Wandling, der Apostel der ewigen Nacht, wird bald sterben«, sagte die dumpfe Stimme, »dann fliegst du hinaus aus deinem schrecklichen Verlies, breitest die Flügel aus und steigst hinauf in den Himmel.«
    Ich kann stöhnen und brummen, so viel ich will, das ist ihm ganz egal. Er ist eingekapselt in seinen Wahn.
    Plötzlich erklang Musik. Ruhige, sanfte Klavierakkorde.
    »Franz Liszt. ›Tröstung‹«, sagte der Kyborg.
    Ob es an der Musik lag oder ob die Wirkung der Spritze nachließ – jedenfalls begann Olga zu zittern. An die Stelle der unbeteiligten Ruhe trat Panik. Nach dem dritten Versuch gelang es ihr endlich, einen Fingernagel unter das Pflaster zu schieben und es am Rand, neben dem Ohr, ein wenig zu lösen.
     
    Wie es der »Abfangplan« vorsah, wurden auf den abendlichen Moskauer Straßen dunkle Importwagen angehalten, ganz besonders dunkelblaue Ford Fokus. Milizfahrzeuge patroullierten an allen Ausfahrten des Stadtrings. Wegen des Regens herrschte nur geringer Verkehr.
    »Wieso glaubst du, dass er mit ihr aus der Stadt rausfährt?«, brüllte Major Sawidow in den Hörer.
    Ein alter beigefarbener VW raste über die Choroschewskoje-Chaussee. Solowjow fuhr nach Dawydowo.
    »Ein Fokus ist ihnen auf jeden Fall entwischt«, schrie Anton in den Hörer, »auf der Choroschewka, irgendwo zwischen der Dritten und der Vierten Magistrale. Sie hatten gerade einen anderen blauen Ford angehalten, da saßen sechs bekiffte Jugendliche drin, und bis sie mit denen fertig waren, ist ihnen der andere Wagen durch die Lappen gegangen. Und anschließend spurlos verschwunden.«
    »Das Kennzeichen hat natürlich niemand erkannt?«, fragte Solowjow.
    »Nein. Es war dreckverschmiert.«
    »Gut. Bleib bitte erreichbar.«
    Klar, dort kann man leicht abtauchen, dachte Solowjow. Der Junge hat gesagt, der Mann hat Olga auf den Kopf geschlagen und sie weggeschleppt. Sie war bewusstlos, aber bestimmt nicht lange. Sie wird zu sich kommen. Sie wird schreien, versuchen, aus dem Auto zu springen. Er wird anhalten müssen. Wenn er sie töten wollte, hätte er das gleich auf dem Hof tun und sie dort liegenlassen können. Er hat also offensichtlich etwas anderes vor. Er bringt sie in den Wald, um dort sein übliches Ritual zu vollziehen.
    Draußen ist es dunkel und menschenleer. Solowjow fuhr durch die am wenigsten belebten Gegenden von Moskau. Lager- und Kühlhallen, Garagen. Links der gläserne Würfel einer Autowerkstatt, von totem Licht erleuchtet. Rechts eine hohe Betonmauer.
    Dawydowo – das war die einzige Chance. Er wusste nicht,was ihn so dorthin zog, Intuition oder schiere Verzweiflung. Er sah Olgas Gesicht vor sich, als sie ihn bat, das Video anzuhalten und das Bild zu vergrößern.
    Sie hatte zweifellos jemanden erkannt. Und war erschrocken, hatte ihren Augen misstraut. Nicht einmal ihm hatte sie etwas gesagt. Also war es jemand, den sie gut kannte, der über jeden Verdacht erhaben war. Olga hatte von Anfang an vermutet, dass Moloch möglicherweise mit der Miliz zu tun hatte, dass er über die Ermittlungen informiert war und sie vielleicht beeinflussen konnte.
    Wer konnte das sein? Wer war über jeden Verdacht erhaben? Wen achtete Olga so sehr, dass es ihr weh tat, als sie ihn auf dem Video erkannte? Wer lebte allein? Wer war ständig auf dem Laufenden über die Ermittlungen und konnte sie beeinflussen?
    Die Antwort drängte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher